Klassenregeln einführen

Zu Beginn dieses Artikels muss ich (Fabian) zugeben, dass ich alles andere als ein Fan von Regeln bin. Unsinnige Regeln und unnötige Bestimmungen haben mich immer geärgert und waren sogar ein Grund, mich selbständig zu machen. Aber gerade weil ich Regeln gegenüber sehr skeptisch eingestellt bin, weil ich der erste wäre, der sich gegen eine sinnlose oder überflüssige Regel wehrt, ist mir dieses Thema ein Anliegen.

Weshalb? Weil ein ungünstiger Umgang mit Regeln dazu führt, dass Kinder in Opposition gehen und Lehrpersonen sich aufreiben und ständig ermahnen und bestrafen müssen.

Im Umgang mit Regeln müssen wir gleichzeitig vorsichtig und entschlossen sein. Vorsichtig sollten wir bei der (sparsamen) Auswahl und Einführung sinnvoller Regeln sein. Entschlossenheit und Beharrlichkeit benötigen wir, um diese mit den Schüler/innen einzuüben und sie immer wieder zu vertreten.

Vermitteln Sie Ihren Schüler/innen, dass Regeln sinnvoll sind

Manche Schüler/innen empfinden Regeln lediglich als Verbote, die ihnen von Erwachsenen aufgedrückt werden. Die Bereitschaft, Regeln anzunehmen, steigt, wenn Kinder erkennen, dass Regeln das Zusammenleben erleichtern und für alle gelten – auch für die Lehrperson.

Wenn Sie möchten, können Sie mit der Klasse zuerst thematisieren, an welche Regeln Sie als Lehrperson sich halten müssen, damit sich alle in der Klasse wohl fühlen und gut lernen können. Wahrscheinlich werden jüngere Schüler/innen zuerst ein wenig überrascht und irritiert reagieren, wenn Sie sie nach Lehrer-Regeln fragen. Sie können in diesem Fall ein Beispiel machen („Ich muss am Morgen pünktlich sein.“) und die Schüler/innen bitten, weitere Regeln aufzuzählen.

Vielleicht werden Ihre Schüler/innen überrascht sein, wie viel Sie als Lehrperson beachten müssen. Gleichzeitig werden sie feststellen, dass viele Regeln für Schüler/innen und Lehrperson gleichermassen gelten.

Sie können die Diskussion um die Lehrer-Regeln ausweiten und – wie in unserem Kurzfilm – nachfragen, ob es Lehrer-Regeln gibt, die Ihren Schüler/innen besonders wichtig wären. Regeln, die dazu führen würden, dass sie besser lernen können und noch lieber zur Schule kommen.

Mögliche Beispiele wären:

  • An normalen Unterrichtstagen machen wir einmal pro Tag eine kurze Bewegungspause, damit wir uns besser konzentrieren können.
  • Wenn jemand die Antwort nicht weiss, darf er oder sie das sagen. Die Lehrperson wird daraufhin ein anderes Kind fragen.
  • Es gibt keine Überraschungs-Prüfungen.

Bei Erstklässlern ist es hilfreich, diese Frage erst nach ein paar Wochen zu stellen, damit die Schüler/innen zuerst einige Schulerfahrungen sammeln können. Fragen Sie dann: „Was könnte ich besser oder anders machen, damit ihr noch lieber in die Schule kommt und noch besser lernen könnt?“

Erarbeiten Sie (einige) Klassenregeln gemeinsam

Auch bei den Klassenregeln können Sie zuerst die Schüler/innen fragen, welche Regeln sie für die Klasse aus welchem Grund wichtig fänden.

Sie können zunächst im Sinne eines Brainstormings alle Regeln notieren und dann mit Hilfe der Klasse die wichtigsten drei bis fünf Regeln herausfiltern. Die Schüler sollen dabei überlegen, welche Regeln am meisten dazu beitragen würden, dass sich alle – Schüler/innen und Lehrperson – wohl fühlen und ein gutes Lernklima entsteht.

Achten Sie darauf, dass deutlich wird, dass Sie die Schüler/innen mitreden lassen, aber die Führung innehaben. Es geht nicht um eine demokratische Entscheidung – letzten Endes treffen Sie die Entscheidung und sind dafür verantwortlich, dass drei bis fünf sinnvolle Regeln auf dem Papier stehen. Der Prozess soll den Schüler/innen in erster Linie Gelegenheit geben, mitzureden, sich Gedanken zu machen und Sie als Lehrperson darauf hinzuweisen, welche Regeln der Klasse gut tun würden.

Es kann durchaus vorkommen, dass eine Klasse Vorschläge macht, die besser und treffender sind als die Ideen der Lehrperson. In einer Klasse war das Klima sehr angespannt. Niemand wollte sich mündlich beteiligen. Durch zwei Fragen (Was stört mich an meiner Klasse? Was müsste passieren, damit ich lieber in die Schule komme und mich melde?) wurde klar: Es gab drei Cliquen, die sich gegenseitig auf dem Kieker hatten und bei falschen Antworten auslachten. Die Schüler/innen wünschten sich jedoch eine Veränderung der Situation. Nach einem Gespräch gab sich die Klasse die folgende Regel, um die Veränderung einzuleiten:

  • Jede zweite Woche losen wir aus, wer neben wem sitzt.

Die Klasse stand hinter der Regel, erinnerte die Lehrperson alle zwei Wochen an die Auslosung und konnte durch diese simple Vorgehensweise dafür sorgen, dass sich Schüler/innen näher kamen und sich kennen lernten, die sich sonst eher aus dem Weg gegangen wären. Die abgegrenzten Cliquen, die zuvor in Grüppchen zusammen sassen, konnten aufgebrochen werden. Bald stellte die Lehrperson fest, dass es in der Klasse ruhiger wurde und sich die Schüler/innen im Unterricht häufiger zu Wort meldeten. Eine allgemeine Regel wie „Wir sind freundlich zueinander“ hätte wahrscheinlich nicht denselben Effekt gehabt.

Ob es besser ist, die Regeln gemeinsam mit den Schüler/innen zu erarbeiten oder sie einfach vorzugeben, hängt von der Klasse ab. Bei älteren Schülern sollten Sie darauf achten, dass die Diskussion nicht lächerlich wird. Diese Schüler wissen, dass sie pünktlich sein und sich melden müssen, bevor sie etwas sagen. Diskutieren Sie daher lediglich Regeln, bei denen Sie den Schüler/innen wirklich ein Mitspracherecht einräumen möchten: Beispielsweise im sozialen Umgang zwischen Lehrperson/Schülern sowie den Schüler/innen untereinander. Dazu ein Beispiel:

Als ich als Aushilfslehrer eine Klasse für das Fach Latein übernahm, fiel mir auf, dass sich bei den Übersetzungen immer nur die gleichen vier Schüler/innen zu Wort meldeten. Ich fragte die Schüler/innen, warum sie sich nicht melden. Dabei zeigte sich, dass die anderen schlicht nicht in der Lage waren, einen ganzen Satz fehlerfrei zu übersetzen und Angst hatten, dass ich dann darauf rumreite – zum Beispiel mit Sätzen wie „Denk nach!“, „Das muss man doch wissen!“, „Nicht einflüstern“. Ich sagte der Klasse, dass ich will, dass alle mitmachen und jeder soviel beiträgt, wie er kann. Wir vereinbarten dazu die folgende Regel:

  • Alle machen mit und ich (als Lehrperson) darf jederzeit alle Schüler/innen aufrufen. Ich lasse aber niemanden schmoren.

Die Umsetzung sah dann so aus:

Ich: Lilian, liest du uns den folgenden Satz?

Lilian: Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.

Ich: Gut. Tina – versuchst du es?

Tina (wird etwas rot): Ich weiss nicht..

Ich: Kennst du ein paar Wörter?

Tina: Gallia ist natürlich Gallien. tres heisst drei. In partes… in Teile. In drei Teile.

Ich: Sehr gut. Jetzt fehlt nur noch omnis – ganz – also „Ganz Gallien ist in drei Teile geteilt“. Das war gut. Willst du noch mehr? Oder soll jemand anderes?

Tina: Jemand anders.

Ich: Danke Tina. Wer macht weiter?

Es war schön zu sehen, wie viel aktiver die Jugendlichen dem Unterricht folgten, sobald sie wussten, dass jeder Beitrag willkommen ist. In der zweiten Woche meldeten sich auch die schwächeren Schüler/innen freiwillig, übersetzten ein paar Wörter oder einen Teilsatz und gaben den Ball weiter.

Regeln gut einzuführen ist hilfreich – aber es reicht nicht!

Die Schüler werden sich eher an Regeln halten, wenn sie selbst beim Erstellen guter Regeln mitwirken durften und wissen, dass Sie als Lehrperson sich ebenfalls an Regeln halten müssen. Dies ist aber lediglich der erste Schritt. Die Klasse wird sich deshalb noch lange nicht daran halten.

Regeln bedeuten für manche Schüler/innen, dass sie ihr Verhalten relativ stark verändern müssen. Für ein impulsives Kind ist es alles andere als einfach, eine Regeln wie „Ich melde mich, bevor ich etwas sage“ umzusetzen.

Vielleicht haben Sie selbst schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, Regeln konsequent einzuhalten – sogar dann, wenn man diese selbst mit sich vereinbart hat und als sinnvoll empfindet, wie zum Beispiel:

  • Ich jogge 10 Minuten pro Tag
  • Ich esse den Tag hindurch keinen Süsskram
  • Ich trinke nicht mehr als zwei Tassen Kaffee pro Tag

Was bräuchten Sie, um solche Regeln einhalten zu können? Würde ein einmaliges Gespräch oder eine einzige Einsicht genügen?

Wahrscheinlich nicht! Lesen Sie daher im nächsten Artikel, wie Sie Regeln mit der Klasse üben können.

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