Ich kann das nicht!

Selina schüttelt verzweifelt den Kopf: „Ich verstehe das nicht! Ich bin dumm!“

Ihr Vater weiss genau, dass sie die Aufgabe lösen könnte, wenn sie es nur versuchen würde. Doch wie soll er sie davon überzeugen? Eine Patentlösung haben wir nicht – aber einige Vorschläge, die bereits vielen Eltern und Kindern weitergeholfen haben.

Bezeichnen Sie die Aufgabe als schwierig

Viele Eltern möchten ihr Kind in dieser Situation ermutigen, indem sie das Kind davon überzeugen, dass die Aufgabe machbar ist. Es fallen Sätze wie:

  • „Komm, das ist doch nicht so schwierig – das schaffst du!“
  • „Du musst doch nur…!“
  • „Das ist eigentlich ganz leicht, du musst es nur versuchen!“

Diese Aussagen sind nur dann hilfreich, wenn das Kind sie glaubt, loslegt und sofort die Erfahrung macht, dass die Aufgabe wirklich leicht und auf Anhieb lösbar ist. In allen anderen Fällen führen sie dazu, dass das Kind die Aufgabe als bedrohlich für den eigenen Selbstwert wahrnimmt.

Stellen Sie sich vor, Sie treten eine neue Stelle an und Sie haben Mühe mit einer der Ihnen zugewiesenen Aufgaben – zum Beispiel mit einem neuen Computerprogramm. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihre Kollegen sagen: „Ach komm, das ist doch ganz leicht!“?

Wahrscheinlich würden Sie denken: „Wenn die das alle so leicht finden und ich es nicht begreife – dann bin ich wahrscheinlich zu blöd!“

Es ist viel schlimmer, bei einer scheinbar einfachen Aufgabe zu scheitern, als bei einer anspruchsvollen. Wahrscheinlich wären sie ruhiger und gleichzeitig motivierter und zuversichtlicher, wenn Ihre Kollegen Ihnen auf die Schulter klopfen und sagen: „Ja…das hat mich auch einiges an Einarbeitungszeit gekostet. Bleib einfach dran – mit der Zeit und etwas Übung wird es nach und nach klarer…“

Zu einem Kind könnte man sagen:

  • „Ja das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Lies sie gut durch.“
  • „Hm… da habe ich als Kind auch lange gebraucht, bis ich das begriffen habe. Das braucht ein wenig Ausdauer.“
  • „Oh ja, das ist eine knifflige Sache. Wollen wir schauen, wie du vorgehen könntest, um das Rätsel zu knacken?“

Durch Sätze dieser Art vermittelt Sie dem Kind einerseits, dass die Aufgabe schwierig ist und Sie andererseits zuversichtlich sind, dass es diese durch etwas Anstrengung, Geduld und Ausdauer lösen kann.

Ein schöner Nebeneffekt dabei ist: Wenn wir eine schwierige Aufgabe lösen konnten, empfinden wir danach ein Gefühl von Befriedigung und Stolz. Dieses Gefühl wird einem Kind genommen, wenn man die Aufgabe als leicht betitelt.

Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, Geduld und Frustrationstoleranz aufzubauen

Um schwierige Aufgaben zu lösen und uns auf etwas Neues einzulassen, benötigen wir Zuversicht, Geduld und eine gute Portion Frustrationstoleranz.

Je mehr ein Kind das Gefühl hat, alles sofort begreifen und können zu müssen, desto schwerer wird es ihm fallen, mit Misserfolgen und anspruchsvollen Aufgaben umzugehen.

Als Eltern oder Lehrperson können Sie Ihr Kind oder Ihre Schüler/innen unterstützen, indem Sie sie dazu ermuntern, bei Schwierigkeiten dranzubleiben, sie ermutigen und sich darüber freuen, wenn das Kind Ausdauer und Hartnäckigkeit zeigt. Das könnte wie folgt klingen:

  • „Hey, jetzt bist du aber lange dran geblieben!“
  • „O.k. das wird nicht einfach…das braucht ein wenig Biss!“
  • „Jetzt hast du es begriffen! Manchmal braucht es zwei, drei Anläufe, aber dann ist es umso schöner, wenn das grosse „AHA!“ endlich kommt!“
  • „Bleib dran – das kommt schon.“
  • „Ich weiss, das hat letztes Mal nicht geklappt. Nun braucht es einigen Mut, um sich wieder darauf einzulassen. Willst du es nochmal versuchen?“

Kinder sind umso mehr bereit, sich auf eine Aufgabe einzulassen und dranzubleiben, je mehr sie die Erfahrung machen, dass sich dies lohnt. Dabei haben sie ihre Augen und Ohren überall und profitieren, wenn:

  • Die Mutter klar und deutlich zeigt, dass es ihr wichtiger ist, dass die Tochter es immer wieder versucht als dass sie gute Leistungen erbringt.
  • Die Lehrerin es schätzt, wenn man sich auf eine Aufgabe einlässt und dabei bleibt.
  • Sie sehen, dass dem Vater auch nicht alles leicht fällt – er bei Schwierigkeiten aber geduldig und beharrlich bleibt und zu sich selbst sagt: „O.k., ruhig Blut…du hast irgendwo einen Fehler gemacht… lies die Bedienungsanleitung nochmals genau durch.“
  • Hören, wie der Trainer sagt: „Du wirst mit jedem Training etwas besser – bleib dran.“
  • Sie einen Freund haben, der bei Rückschlägen nicht aufgibt und sie mit einem „Versuch es nochmal.“ dazu verleitet, nicht gleich aufzugeben.

Wenn Kinder sehen, dass man sich Zeit lassen darf um etwas zu lernen, Fortschritte durch geduldiges Üben möglich sind und sich andere freuen und stolz auf einen sind, wenn man sich bei Schwierigkeiten dazu aufrafft, es nochmals zu versuchen, entwickeln sie Beharrlichkeit und Frustrationstoleranz. Und vielleicht kommen sie dann zum selben Schluss wie Peter Frankenfeld:

„Das Glück lässt sich nicht zwingen. Aber es hat für hartnäckige Menschen sehr viel übrig.“

Falls Ihr Kind oder Schüler/innen Mühe in einem Fach haben, wirkt es besonders unterstützend, wenn Sie Rückmeldungen auf der individuellen Bezugsnorm geben. Was das genau bedeutet, erfahren Sie im folgenden Film:

Mit Schwierigkeiten und Misserfolgen umgehen zu können ist für Kinder und Erwachsene gleichermassen bedeutsam. Mehr dazu erfahren Sie im Artikel „Wie Kinder lernen können mit Misserfolgen umzugehen„.

Gerne weisen wir Sie auf die folgenden Seminare/Weiterbildungen hin:

Tagesweiterbildung „Wie Kinder ihren Selbstwert entdecken“ für Fachpersonen

Seminar „Resilienisch“ – ein Sprachkurs für innere Stärke (Resilienz in der Familie) für Eltern

Aktuell: Unser neues Buch „Geborgen, mutig, frei – wie Kinder zu innerer Stärke finden“

Wir alle wünschen uns Kinder, die dem Leben mit Mut begegnen. Die mit Misserfolgen, Schwierigkeiten und Rückschlägen umzugehen wissen – resilient sind. Kinder, die ihre Stärken kennen und nutzen und ihre Schwächen akzeptieren.
Im Alltag bieten sich unzählige Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen von Kindern zu fördern.
Dieses Buch gibt eine Vielzahl von Impulsen, die Kindern zu innerer Stärke und Widerstandsfähigkeit verhelfen.