Als Familie glücklich werden
Viele Paare erhoffen sich, dass ein Kind ihr Glück krönt. Die Psychologin und Autorin Stefanie Rietzler erklärt im Interview, was es braucht, um als Familie glücklich zu sein.
Was macht Familien glücklich?
Wenn sie Antworten auf die Fragen finden: «Was braucht jedes einzelne Familienmitglied, damit es ihm gut geht? Was bringt uns als Familie näher zusammen? Was hilft, wenn es uns nicht gut geht?» Diese Antworten sind natürlich individuell, aber im Allgemeinen gilt: Glücklich ist eine Familie dann, wenn der Alltag so gestaltet wird, dass die Bedürfnisse aller Mitglieder mehrheitlich befriedigt werden können. Im Umkehrschluss werden Familien belastet, wenn wichtige Bedürfnisse zu oft frustriert werden: wenn Familien um ihre Sicherheit bangen müssen oder in finanziellen Nöten stecken. Wenn Eltern und Kindern nächtelang nicht richtig schlafen können und kaum Zeit zum Essen finden. Wenn sie sich in der Familie und Partnerschaft zu wenig gesehen und gehört fühlen, nicht genug Zeit füreinander haben, es viele Spannungen und Konflikte gibt. Wenn sie sich zu stark in ihrer Autonomie beschnitten fühlen: Für Eltern kann das heißen, plötzlich auf sämtliche Treffen mit Freunden, Bewegungsfreiheit und Hobbies verzichten zu müssen, weil sie ganz und gar für das Kind da sein möchten. Für die Kinder kann das heißen, zu starren Regeln folgen zu müssen, zu wenig mitentscheiden oder sich kaum in den Familienalltag einbringen zu können. Hilfreich ist ein soziales Netz, das die Familie unterstützt. Eltern müssen Kraft tanken können. Sie brauchen Entlastung, wenn sie im Stress versinken.
Manche Menschen erwarten, dass andere sie glücklich machen. Hängt unser Glück von anderen ab?
Der Mensch ist ein soziales Wesen, wir brauchen die Gemeinschaft, damit es uns gut geht. Ein wichtiger Schlüssel zur psychischen Gesundheit sind soziale Beziehungen, in denen wir Rückhalt erfahren. Wichtig ist aber die Sichtweise, dass jedes Familienmitglied eine Mitverantwortung für die Gemeinschaft trägt. Die Erwartung, dass andere für mein Glück verantwortlich sind und mir jeden Wunsch von den Augen ablesen sollten, halte ich hingegen für problematisch. Beziehungen müssen wir aktiv gestalten und uns um eine gute Kommunikation bemühen: Dazu gehört auch, dass wir großzügig sind und dem anderen zeigen, dass wir dankbar für ihn oder sie sind. Wer einfach abwartet und hofft, dass der Partner oder die Partnerin einen glücklich macht, wird frustriert und enttäuscht sein.
Welche Faktoren beeinflussen, ob ein Mensch glücklich ist?
Unser Glücksempfinden wird zu zirka 50 Prozent von den Genen beeinflusst. Wir pendeln uns also auf einem Zufriedenheitsniveau ein, das uns genetisch gegeben ist. Manche Menschen haben ein sonnigeres Gemüt, andere haben es einfach schwerer und lassen sich eher aus der Ruhe bringen. Diese Temperamentsunterschiede sieht man schon bei Säuglingen.
Natürlich beeinflussen auch unsere Lebensumstände, wie gut es uns geht: unsere Familie und die Gesellschaft, in die wir hineingeboren werden.
Auf der anderen Seite sind für etwa 40 Prozent der Lebenszufriedenheit kleine glücksspendende Gewohnheiten im Alltag verantwortlich. Wir haben also einen gewissen Spielraum, unser Wohlbefinden aktiv zu gestalten.
Eltern wünschen sich, dass ihr Kind glücklich ist. Was können sie dafür tun?
Eine wichtige Grundlage ist, dass Eltern ihrem Kind zu verstehen geben, dass es ihr Leben bereichert und sie froh sind, dass es da ist. Kinder wollen geliebt werden, wie sie sind. Sie blühen auf, wenn sie ihre Stärken und Talente entdecken und diese ausleben dürfen. Das bedeutet aber nicht, dass die Eltern den Alltag mit Kursen verplanen müssen. Kinder sollen auch mal nichts tun und sich langweilen dürfen.
Für Kinder sind auch Freundschaften sehr wichtig. Eltern können dafür sorgen, dass ihr Kind Zeit hat, sich zu verabreden, und die Spielkameraden sich bei ihnen zuhause willkommen fühlen. Sie sollen ihrem Kind ruhig zeigen, dass sie sich über seine Freundschaften freuen.
Für Kinder ist es bedeutsam, sich in die Familie einbringen zu dürfen und zu erleben: Auch meine Meinung zählt und meine Anliegen werden mitberücksichtigt. Wir können das Kind spüren lassen, dass es Teil einer Gemeinschaft ist und sein Beitrag für die Familie, seine Hilfe im Haushalt geschätzt wird. Denn Kinder wollen sich nützlich fühlen. Schön finde ich auch, wenn die Eltern gemeinsam mit dem Kind abends auf den Tag zurückblicken und sich überlegen, wofür sie dankbar sind.
Zu guter Letzt können wir unseren Kindern auch eine förderliche Haltung vorleben: So können Eltern mit den Kindern bewusst den Blick auf das Gute lenken, zum Beispiel auf die schönen Farben der Blumen im Garten oder auf das leckere Essen. Wir können uns darum bemühen, optimistisch in die Zukunft zu blicken und dankbar sein für das, was wir haben. Für Kinder ist es wertvoll, wenn ihre Eltern ihnen zeigen, dass -trotz allem Schwierigen- die Welt prinzipiell ein guter Ort ist und die Zukunft viel Gutes für es bereithält.
Wird das Glück durch Probleme verhindert?
Eine glückliche Kindheit bedeutet nicht, dass die Eltern dem Kind alle Hürden aus dem Weg räumen müssen. Kinder sollen erleben, dass es im Leben manchmal schwierig ist, dass sie Fehler machen dürfen und sich viele Probleme lösen lassen. Wichtig ist aber, dass sie in diesen Momenten nicht allein sind und sich von den Eltern aufgefangen und akzeptiert fühlen.
Was dem Glück häufig im Weg steht, sind typische Fallen, in die wir alle immer wieder tappen: Manche Eltern glauben, dass sie ihr Kind permanent bei Laune halten müssen, indem sie ihm möglichst viele außergewöhnliche Ausflüge und tolle Momente bieten. Nicht selten werden sie dabei enttäuscht, wenn das Kind dann am Programm herumnölt oder nicht so viel Freude am neuesten Geschenk zeigt.
Oft stiehlt uns auch der ständige Blick auf die Zukunft die glücklichen Momente im Hier und Jetzt. Wer ständig dem nächsten Karriereschritt hinterherrennt oder alles darauf ausrichtet, das Kind aufs Erwachsenenleben vorzubereiten, opfert die Gegenwart. Im Sprichwort «Wer sich um die Minuten kümmert, kann die Jahre sich selbst überlassen» steckt viel Wahrheit. Für Kinder ist dieses Leben im Moment besonders wichtig.
Oft hört man: Damit Kinder glücklich sind, müssen auch die Eltern glücklich sein. Stimmt das denn?
Kinder wünschen sich sehr, dass es ihren Eltern gut geht. Manchmal fühlen sie sich sogar für das Glück ihrer Eltern verantwortlich. Wenn ein Elternteil psychische Probleme hat oder es zwischen Mama und Papa kriselt, hat das einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Kinder. In diesen Momenten brauchen Kinder Erwachsene, die ihnen klarmachen, dass sie nicht schuld an diesen Schwierigkeiten sind und nicht die Verantwortung tragen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir uns im Wunsch, dem Kind möge es gutgehen, nicht völlig verausgaben. Wenn wir als Eltern gut für uns selbst sorgen und darauf achten, dass wir immer wieder auftanken können, tun wir damit auch den Kindern etwas Gutes. Ich finde in diesem Zusammenhang den Leitspruch „Sich um die Kinder kümmern, ohne selbst zu verkümmern“ sehr einprägsam.
Welchen Einfluss hat unsere Umgebung auf unser Glücksempfinden?
Die politischen Zustände eines Landes und die soziale Gerechtigkeit wirkt sich stark auf unsere Lebenszufriedenheit aus. Aber der Wohnort innerhalb eines Landes, die Größe der Wohnung oder das Wetter beeinflussen unser Wohlbefinden Studien zufolge lediglich zu etwa 10 Prozent. Wenn wir zum Beispiel in eine größere Wohnung ziehen, steigt das Glücksgefühl kurzfristig, um sich aber bald auf dem «alten» Niveau einzupendeln. Sobald wir etwas Besseres erreicht haben, wird das zur neuen Normalität. Ausschlaggebend ist, wie wir unser Leben wahrnehmen: es gibt Menschen, die sehr viel haben und trotzdem nie genug, während andere kaum etwas besitzen, sich über das Wenige aber immer wieder freuen können.
Für Kinder ist das Umfeld, in dem sie aufwachsen, extrem wichtig. Damit meine ich aber nicht, wie schön die Wohnung oder wie grün die Umgebung ist. Wer beispielsweise in finanzieller Not aufwächst, sich nicht geliebt fühlt, physische oder psychische Gewalt erfährt, der hat es deutlich schwerer, zu einem zufriedenen Erwachsenen zu reifen.
Ist Glück ansteckend?
Die Forschung zeigt: Ja! Albert Schweitzer hatte Recht mit seiner Aussage «Das Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt». Wenn wir anderen Anerkennung schenken oder jemandem eine kleine Freude bereiten, macht uns das glücklich. Zudem umgeben sich Menschen mit einem sonnigen Gemüt eher mit Menschen, die optimistisch und fröhlich sind. Gefühle sind ansteckend. Wer anderen ein Lächeln schenkt, erhält oft eines zurück.
Macht Erfolg glücklich oder macht Glücklichsein erfolgreich?
Die Forschung zeigt: Erfolg macht nicht langfristig glücklich. Viele Menschen fühlen sich nach einem Erfolg, zum Beispiel einer Beförderung, eher erleichtert als glücklich. Erwiesen ist, dass glückliche Menschen im Durchschnitt erfolgreicher werden. Positiv eingestellte, freundliche und offene Menschen werden von anderen als Teamkollegen oder Vorgesetzte geschätzt und kommen weiter. Sie verbreiten eine positive Grundstimmung. Sie lernen auch öfter aus Freude oder Interesse und nicht aus Angst vor Misserfolgen und schlechten Bewertungen.
Macht Geld glücklich?
Jein. Zu wenig Geld macht unglücklich. Sobald wir aber ein durchschnittliches Einkommen erreicht haben und die Grundbedürfnisse befriedigt sind, macht uns mehr Geld nicht glücklicher. Vor allem dann nicht, wenn wir damit Besitz anhäufen. Wenn wir Geld hingegen ausgeben, um schöne Erinnerungen zu schaffen oder anderen damit etwas Gutes tun, steigt unser Wohlbefinden.
Macht Shopping glücklich?
Das erhoffen sich viele. Wer unglücklich oder gestresst ist, kauft mehr ein. Menschen, die sich mit Luxusgütern beschäftigen, fühlen sich Studien zufolge hinterher unzufriedener und niedergeschlagener. Das macht sich die Werbung zunutze. Sie gaukelt uns vor, dass uns etwas feglt und legt uns dann nahe, dass wir uns durch den Kauf eines Produktes glücklicher fühlen werden. Doch Shopping gibt nur einen kurzfristigen Kick. Schon bald holt uns ein Gefühl der Leere ein. Geld zu spenden oder für andere auszugeben, steigert die Zufriedenheit viel stärker als sich jeden Luxus zu leisten.
Was passiert in unserem Körper, wenn wir glücklich sind?
Im Körper werden bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, wenn wir etwas Positives erwarten, einen schönen Moment erleben oder uns jemand in den Arm nimmt. In der Folge fährt unser Stresssystem herunter und Angst, Anspannung, Wut und Ärger werden abgepuffert. Wenn wir glücklich sind, wird die linke Seite des Stirnhirns aktiv, bei negativen Gefühlen die rechte.
Welche Tipps verhelfen Eltern zum Glücklichsein?
So können Sie Glücksgewohnheiten etablieren:
- Bauen Sie im Alltag Rituale ein, die angenehme Gefühle auslösen (z.B. trinken Sie bewusst eine Tasse Tee, wenn der Computer ein Update macht, hören Sie ein spannendes Hörbuch oder Ihre Lieblingsmusik auf dem Weg zur Arbeit etc.).
- Überlegen Sie sich, wie sie die Zeit mit Ihren Kindern mehr genießen können. Wer ständig der To-Do-Liste oder einem strengen Zeitplan hinterherhechelt, empfindet die Kinder mit ihrem eigenen Rhythmus rasch als Belastung und ist genervt. Hier kann es helfen, die eigenen Ziele umzulenken. Anstatt «ich muss jetzt unbedingt die Küche aufräumen» sage ich mir lieber «Ich will jetzt in erster Linie Zeit mit meinen Kindern verbringen. Wenn ich es schaffe, dabei noch die Küche halbwegs auf Vordermann zu bringen, ist das ein Bonus.»
- Überlegen Sie sich beim Frühstück, worauf Sie sich heute freuen oder was den Tag schöner machen würde. Vielleicht suchen Sie sich bereits einen schönen Film für den Abend aus, anstatt wahllos herumzuzappen, wenn die Kinder endlich im Bett sind.
- Werfen Sie am Abend bewusst einen Blick ins Kinderzimmer, wenn die Kleinen schlafen. Gerade in schwierigen Zeiten stimmt dieser Anblick immer wieder versöhnlich.
- Lassen Sie ein altes Hobby wieder aufleben oder beschäftigen Sie sich mit etwas, wofür Ihr Herz brennt. Sollte Ihnen die Zeit fehlen: vielleicht können Sie während des Kochens oder Einkaufens einen spannenden Podcast zu Ihrem Lieblingsthema hören.
- Nehmen Sie sich Zeit für wichtige Beziehungen, indem Sie sich beispielsweise bei jemandem melden, den Sie schon zu lange nicht mehr gesehen haben.
- Bereiten Sie anderen eine Freude oder setzen Sie sich für etwas ein, das Ihnen am Herzen liegt.
- Überlegen Sie sich, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist und versuchen Sie, dies als Leitstern zu nehmen. Überprüfen Sie von Zeit zu Zeit: Sind wir auf Kurs? Schaffen wir genügend Raum für das, was uns am meisten bedeutet?
Dieses Interview wurde von Susanna Steimer Miller geführt und erscheint in der Mai-Ausgabe von Baby&Kleinkind.
Buchtipp
Dieses spannende Abenteuer richtet sich an Kinder ab 8 Jahren und Eltern, die gerne wissen möchten, was wirklich glücklich macht und im Leben zählt.