Entspannt miteinander durch die Pubertät – Interview mit Inke Hummel

Liebe Inke Hummel, du bist Pädagogin, Buchautorin, dreifache Mama und setzt dich in deiner Arbeit für eine gute Eltern-Kind-Bindung ein. Soeben ist dein neues Buch „Miteinander durch die Pubertät“ erschienen. Erzähl mal: wieso ist die Pubertät für viele Eltern so ein Schreckgespenst? 

Inke Hummel: Wenn die Eltern noch sehr in alten Glaubenssätzen und konservativen Vorstellungen gefangen sind, ist das Grundproblem, dass ihnen Vertrauen fehlt:

  • Vertrauen darauf, dass Beziehung ganz viel absichern und ggf. auch kitten kann,
  • Vertrauen darauf, dass sie selbst gute Begleiter für ihre Kinder sein können,
  • und auch Vertrauen ins Kind – dass es mit uns kooperieren mag und kein allzu starkes über die Stränge Schlagen braucht, wenn wir für ausreichend Freiräume sorgen.

Früher war Pubertät ganz klar mit dem Begriff „Generationenkonflikt“ verknüpft. Man erwartete quasi ein lautes Gegeneinander, Eskalation, schwer lösbare Probleme. Viele fürchten das immer noch und haben das Gefühl, machtlos zu sein oder aber es nur mit Macht und Autorität in den Griff bekommen zu können. Ein 1,80m großer Teenager mit eigener Meinung wird als feindlich, gefährlich, negativ betrachtet.

Mein Weg ist ein anderer, und viele Eltern möchten ihn ebenfalls gehen: den beziehungsstarken Weg. Der sollte möglichst von Geburt an so gut es geht beschritten werden, denn Beziehung ist Prophylaxe, macht Platz für Vertrauen und kann Ängsten die Kraft nehmen. Ich sehe mein jugendliches Kind genauso wie mein Kleinkind mit Liebe und Interesse. Ich schätze es, wenn mein Kind unverbogen ein erwachsenes Selbst entwickeln kann. Das braucht natürlich Reibung. Es ist meine Aufgabe, das anzunehmen und in gute Bahnen zu leiten, nicht es zu unterdrücken.

Es ist vielleicht für manche Mamas und Papas schwer vorstellbar, die ihren Teenie morgens nicht aus dem Bett bekommen, seine Stimmungsschwankungen abbekommen und viele Diskussionen ausfechten, aber: Du schreibst in deinem Buch, dass die Pubertät in Familien auch positiv gelebt werden kann – ja sogar eine Chance darstellt…

Inke Hummel: Ja! Für mich ist die Pubertät der Kinder nochmals eine Chance darauf, dass ich mich weiterentwickeln kann. „Kinder sind die Therapie, nach der wir nie gefragt haben.“ hat Nora Imlau mal gesagt, und genau das ist der Gewinn: Von Geburt an zeigen sie uns sanft bis schmerzhaft, was in uns wohnt, was bearbeitet werden muss, um besser zu werden in Beziehungen, in Kommunikation oder auch in Selbstfürsorge. Wenn sie Teenager sind und das Reflektieren das Spielen ablöst, um die Welt zu erobern und zu verarbeiten, sind sie noch bessere Sparringspartner dafür. Wir müssen das nur annehmen, dann können wir alle wachsen – die Kinder natürlich auch. Sie können sie selbst sein und das verfestigen, und sie können auch mehr Verständnis für uns und unsere Positionen entwickeln, wenn wir dem Raum geben. In der Folge können wir mit unseren Kindern ganz neu zusammenwachsen und eine Bindung bis ins Alter sichern.

Pubertät ist somit auch die Chance auf langsames „Überflüssigwerden“. Wir Eltern müssen nach und nach Verantwortung abgeben, Handlungsspielräume frei geben. Teenager können keine selbstständigen Erwachsenen werden, wenn sie sich nie ausprobieren und vor allem auch nie Fehler machen durften. Das ist dabei kein gradliniger Prozess: loslassen, wieder etwas mit anpacken, dann doch mal wieder loslassen – so wird es vermutlich laufen.

Pubertät in Beziehung ist des Weiteren die Chance auf einen gemeinsamen Alltag ohne ständiges Zornigsein, Kontrollieren und Explodieren. Streit gehört dazu, aber hat die Familie von Anfang an eine lösungsorientierte Streitkultur ohne Beschämungen oder Strafen und mit Zeitpuffern zum Kompromissefinden etabliert, so wird es in der Regel weniger und sinnvolleren Streit geben. Auch davon kann man als Elternteil profitieren, wenn man neue Blickwinkel zulässt und sich selbst nicht als allwissend und das Maß aller Dinge auffasst.

Insgesamt ist eine in guter Beziehung gelebte Pubertät die Chance darauf, dass unsere Kinder beständig das sichere Gefühl haben, dass es bei uns zu Hause einen Ort gibt, an dem sie immer, immer willkommen sind, egal was passiert ist.

So muss die Pubertät kein angstbeladener Zeitraum werden. Sie ist notwendig und kann positiv gelebt werden! Vielleicht wird sie eine sehr arbeitsintensive, anstrengende und kräftezehrende Zeit sein. Doch wenn wir im Hinterkopf haben, warum sie notwendig für die Entwicklung eines Kindes ist und welchen Gewinn die Pubertät bringen wird, können wir leichter durch sie hindurchgehen. Dann ist auch Platz, all die guten Seiten wahrzunehmen, die uns diese Etappe im Leben unserer Kinder bietet.

Wie verändert sich die Rolle der Eltern, wenn das Kind in die Pubertät kommt oder mittendrin steckt?

Inke Hummel: Wir Eltern verlieren die Stellung im Leben unserer Kinder. Obgleich wir wichtig bleiben, wird unser Platz in der Regel deutlich kleiner. Wir müssen Kontrolle abgeben und meist auch damit zurechtkommen, dass die vom Teenie gezeigte Liebe nicht die gleiche Intensität hat wie in den Jahren zuvor. Die Gleichaltrigen werden wichtiger und stärker vom Teenie selbst gewählt, anstatt durch Aktivitäten gefunden zu werden, die wir Eltern anleiten. Und sie werden nicht nur zu Freunden, sondern teilweise auch zur ersten Liebe. Dies sollten wir begrüßen und offen begleiten.

Statt mit uns zu kooperieren, geht der Teenager stärker eigene Wege, will und muss sich ausprobieren. Wir Eltern sollen natürlich weiterhin unsere Meinung sagen. Aber wir müssen vermutlich immer öfter eine andere Sichtweise unserer Kinder tolerieren. Wie in allen Beziehungen müssen wir hinnehmen, dass Uneinigkeit dazugehört und normal ist und die Grundlage der Beziehung nicht zerstört! Stattdessen kann uns das sogar voranbringen, wie bereits geschildert. Es kommt darauf an, wie wir es lösen.

Wichtig ist jetzt, dass Eltern nicht alles persönlich nehmen, sondern erkennen, dass diese Meinungsänderungen notwendig sind. Wir Eltern müssen unsere Kinder mit positivem Blick freigeben. Das heißt, wir entfernen uns voneinander – aber möglichst, ohne dass wir die Jugendlichen ablehnen. Stattdessen sollten wir darauf achten, dass das gegenseitige Vertrauen wächst und wir den beständigen Wandel der Beziehung annehmen – mal lockerer, mal strenger.

Und wenn wir für kurze Zeit eine Mauer zwischen dem Teenager und uns spüren, bleibt es unsere Aufgabe als Eltern, wieder den ersten Schritt aufeinander zuzumachen. Die Pubertierenden bekommen das nicht immer so gut hin.

Ist es ganz schlimm zwischen ihm und uns gelaufen, kann es helfen, einen Dritten dazu zu bitten, der dabei hilft, dass sich die Wogen glätten und alle aufeinander zugehen können.

Viele Eltern schmerzt es, wenn ihre Teenies plötzlich kaum mehr Zeit mit ihnen verbringen wollen, Familienausflüge „langweilig“  finden, Vorschläge für gemeinsame Unternehmungen mit einem „nee, keine Lust“ abtun und fast nur noch mit den Freunden unterwegs sein wollen. Kennst du das auch? Und wie reagiert man am besten darauf?

Ich kenne das auch, aber relativ gering, denn zum einen haben wir „vorgebaut“ und zum anderen helfen uns auch hier wieder Freiräume, Kompromisse und echtes Interesse. Im Detail bedeutet das:

  • Je mehr etablierte kleine „Traditionen“ es schon in den Kinderjahren für gemeinsame Zeiten und Unternehmungen gibt, desto mehr werden übrigbleiben und nicht ständig hinterfragt werden, wenn die Kinder Teenager werden. Immer sonntags zusammen in die Natur, immer dienstags gemeinsam vom Sport heimlaufen und quatschen, jedes Jahr an Pfingsten verreist ein Elternteil mit einem Kind, jedes Frühstück nehmen wir alle zusammen ein o.ä. Hier lohnt frühzeitiger Invest.
  • Je mehr die Kinder selbst entscheiden dürfen, desto größer wird tendenziell ihre Bereitschaft sein, auch mal Dinge zu machen, die nicht ihre oberste Priorität sind.
  • Je stärker ich mich auch für ihre Faibles interessiere und mal einen Film mitschaue oder ein Konzert besuche, wo bei mir eigentlich kein großer Eigenabtrieb dahintersteckt, desto besser lerne ich meinen Teenager kennen und desto gesehener fühlt er sich, was auch wieder die Kompromissbereitschaft erhöhen kann.

Für die Situationen selbst finde ich es wichtig, dass zwischen „mitschleifen“ und „trotzig zu Hause lassen“ ganz viel Raum ist für Reflexion und Kommunikation: Warum ist es mir wichtig, dass mein Teenager mitkommt? Warum verletzt es jemanden, wenn er nicht dabei wäre? Oder wäre es eigentlich egal und ist nur in meinem Kopf wichtig? Gibt es gute Gründe, die ich ihm erklären kann? Kann ich sein Mitgefühl erreichen? Welche Argumente hat er? Lassen sich Kompromisse finden in Bezug auf die Dauer o.ä.? Und habe ich immer Lust auf seine Termine oder sage ich auch ständig ein Zuschauen beim Handballturnier oder den Filmabend ab bzw. nehme nur nach Gemecker teil?

In dem Feld steckt viel Elternarbeit drin, und es wäre nicht fair, das einfach auf „den bockigen Teenie“ abzuwälzen.

„Mein Kind will plötzlich so groß sein, mehr Verantwortung, mehr Rechte – aber die damit verbundenen Pflichten, z.B. im Haushalt werden abgewehrt.“ – das höre ich von Teenie-Eltern sehr oft. Wie kann es gelingen, die Jugendlichen besser einzubinden?

Inke Hummel: Auch das ist ein Bereich, für den man im Kindesalter viel vorbeugend etablieren sollte. Je mehr da schon mit 6 oder 8 Jahren klar übernommen werden musste, desto mehr bleibt übrig ohne ständig neu verhandelt werden zu müssen.

Haben wir diese Regeln auch noch miteinander gefunden, „pieksen“ sie den Teenager vermutlich auch weniger. Kennt er außerdem meine Gefühle, meine Bedürfnisse und unsere Notwendigkeiten im Alltag, um die Sinnhaftigkeit der Aufgabenverteilung zu verstehen, wird er eher hilfsbereit sein, als wenn ich ohne Erklärung fordere und Druck mache.

Und wieder: hat er anderswo viele Freiräume und bin auch ich ein kompromissbereiter Mensch, so ist die Wahrscheinlichkeit höher für seine Kooperation. „Nur kompromissbereite Eltern haben kompromissbereite Kinder.“ sagte meine Kollegin Mildi Karin Sand mal, mit der ich im Vorstand des Vereins Bindungs(t)räume bin.

Es geht also immer um Kommunikation, Perspektivwechsel, Miteinander. Und wichtig ist: das erhöht die Wahrscheinlichkeit für weniger Konflikte, aber merzt sie niemals aus. Der Beziehungsfokus hat niemals eine Harmoniegarantie.

Was rätst du Eltern, die den Eindruck haben, ihr Jugendlicher höre ihnen nicht zu und man gerate sich schnell in die Haare? Hättest du Kommunikationstipps, damit solche Gespräche konstruktiver verlaufen?

Inke Hummel: Höre ich selbst denn gut zu? Bin ich zu laut? Und erzähle ich von mir? Gibt es überhaupt gute Gelegenheiten, in denen wir intensiv reden können? Lassen wir auch Raum, um eine Meinung ausbilden zu können, oder erwarten wir immer eine sofortige Konfliktlösung? Sehen wir die Argumente unseres Teenagers oder nur unsere? Wie offen sind wir für Kompromisse?

Auch hier ist Selbstreflexion der Eltern für mich der Startpunkt. Und dann kann man hinschauen, was man verändert, welche Rituale man etablieren kann und wie man Gespräche so führt, dass es keine Verhöre sind, dass sie persönlich sind, dass der Jugendliche irgendwo miteinsteigen mag. Das ist in meinem Buch eines der ausführlichsten Kapitel mit vielen Ideen zu guten Situationen oder auch Gesprächseinstiegen.

Und wichtig ist mir auch, dass man dieses Thema nicht zu simpel sieht: Spüren wir, dass gerade hier ein ewiger Stresspunkt ist, sollten wir uns kontinuierlich damit befassen und immer wieder reflektieren.

  • nicht nur: „Die Situation lief schlecht!“
  • sondern auch: „Ich bemühe mich, kontinuierlich eng am Teenie zu sein, um zu wissen, was ihn bewegt. Wir sprechen über mehr als nur Alltagsorganisation und Schulnoten. Ich sehe auch, was positiv zwischen uns läuft.“

Ich empfehle also ein grundlegendes Angehen der Kommunikation, nicht nur ein Beachten einzelner Momente.

Nun ist es ja nicht selten, dass man als Mama oder Papa von seinem pubertierenden Nachwuchs mit den eigenen Regeln, Werten, Handlungen und Sorgen infragegestellt, von Zeit zu Zeit auch unsanft zurückgewiesen oder sogar Zeuge eines waschechten Wutausbruchs wird – das kann verletzend sein. Wie geht man als Eltern am besten mit diesen Gefühlen um?

Inke Hummel: Da sind wir wieder bei dem „Therapie-Gedanken“: Nicht mein Kind hat die Verantwortung dafür, was da in mir ausgelöst werden kann, sondern ich selbst. Es ist kein fremder Erwachsener, dem ich seine harsche Art übelnehmen muss, weil er mit mir zu wenig Mitgefühl hat. Wir haben eine Beziehung, ich habe eine Verantwortung.

Wenn ich nicht gelassen bleiben kann, muss ich an mir arbeiten, ggf. mit Hilfe. Dann kann ich meinem Teenager die Begleitung sein, die er benötigt: ihn darauf hinweisen, was er mit seinem Verhalten bei anderen auslöst, wie er wirkt, oder ihn dabei unterstützen, hier kompetenter zu werden und sozialverträglichere Strategien zu entwickeln.

Kommen also verletzte Gefühle in mir hoch, sollte ich sie ernst nehmen und bearbeiten. Gegenüber dem Teenager darf ich ehrlich sein und sie ansprechen und muss meine eigene Wut nicht ständig herunterschlucken, aber ich sollte deutlich machen: „Das macht was mit mir! Nicht DU machst was mit mir.“

Und zum Abschluss: Woran merke ich, dass wir als Familie auf einem guten Weg sind mit unserem Jugendlichen?

Inke Hummel: Spannende Frage. Spontan würde ich sagen:

  • wenn ich mich grundsätzlich wohl fühle,
  • wenn meine Kinder gerne nach Hause kommen und vielleicht ihre Freunde mitbringen,
  • wenn wir miteinander sprechen können, wenn es sein muss,
  • wenn Raum ist für das, was ich brauche und für das was mein Kind braucht
  • und wenn wir uns noch berühren mögen sowie miteinander lachen können trotz aller Konflikte.

Aber vermutlich ist das auch sehr individuell.

Wichtig ist vielleicht der Gedanke, dass die wenigsten Teenager vom Wege abkommen, selbst wenn es hier und da holpert – und dass die meisten Teenies sagen, dass sie später auch mal Familien möchten, denn dann ist es zu Hause vielleicht gar nicht so schrecklich.

Möchtest du den Eltern sonst noch etwas sagen?

Inke Hummel: Investiert in Prophylaxe durch Beziehung. Vergesst euch selbst nicht (denn das ist tendenziell das größte Problem bei Eltern, die viel Wert auf Bindung, Beziehung und Bedürfnisorientierung legen). Habt Vertrauen und erwartet weder Harmonie noch Perfektion.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Inke Hummel

Inke Hummel, Pädagogin und Germanistin M.A., hat in Bonn studiert mit den erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkten Kleinkind- und Jugendalter, pädagogische Psychologie und Sprachentwicklung. Entwicklungspsychologie und Bindungstheorie stehen inzwischen längst mit in ihrem Fokus.

Sie arbeitet deutschlandweit als selbständige Familienbegleiterin und pädagogische Beraterin unter der Firmierung „sAchtsam Hummel“ und ist angestellte Kursleiterin für Eltern-Kind-Begleitung im ersten Lebensjahr. Des Weiteren ist sie freie Autorin im humboldt-Verlag für den Bereich der Familienratgeber sowie im edition claus Verlag für Kinderbücher. Ehrenamtlich setzt sie sich mit vielen anderen im Verein Bindungs(t)räume dafür ein, dass Eltern und Pädagogen Kinderseelen und -bedürfnisse besser verstehen und in ihrem Interagieren mit Kindern inspiriert und gestärkt werden – beispielsweise mit Hilfe des Vereinsblogs.

Inke Hummel ist 43 Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder im Teenageralter und lebt in Bonn.

Mehr Informationen unter www.inkehummel.de

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