Kinderfreundschaften: Was Eltern wissen sollten

Stefanie Rietzler beantwortet Fragen rund um das Thema „Kinderfreundschaften“, die Eltern unter den Nägeln brennen. 

Susanna Steimer Miller: Freundschaften bereichern den Alltag unserer Kinder. Ab wann können Kinder eigentlich erste Freundschaften knüpfen?

Stefanie Rietzler: Bereits Babys zeigen oftmals ein großes Interesse an anderen Babys: sie betasten sich gegenseitig, ahmen Laute nach, strecken einander Gegenstände hin und reagieren aufeinander, wenn eines weint. Aber die Äußerung, dass ein bestimmtes Kind ein „Freund“ ist, fällt meist zum ersten Mal im Kleinkindalter. Typischerweise wird in dieser Phase jedoch noch nicht großartig mit „den Freunden“ gespielt, sondern eher nebeneinander her: Man sitzt Seite an Seite im Sandkasten und baut vor sich hin, vielleicht sieht man von Zeit zu Zeit hinüber, um sich eine Schaufel zu stibitzen, eine Frage zu stellen oder das Werk des anderen zu bestaunen. Die Kinder sind in diesem Alter also noch stark mit sich selbst und ihrem eigenen Spiel beschäftigt und nehmen wenig Bezug aufeinander. Daher dreht sich auch der Großteil der Konflikte darum, wem was gehört, wer womit spielen darf und wer was zuerst hatte.

Im Kindergartenalter verfeinern Kinder die Fähigkeit, sich in ihr Gegenüber einzufühlen, dessen Absichten und Wünsche zu erkennen und zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Damit ist die Basis für eine intensivere Gegenseitigkeit und länger andauernde Kontakte gelegt. Nun gewinnen Regel-, Brett- und Rollenspiele an Bedeutung – die Kinder spielen nun vorwiegend miteinander und nehmen aufeinander Bezug. Freundschaften erhalten in dieser Entwicklungsstufe einen sehr hohen Stellenwert und eine gewisse Exklusivität („Du bist mein Freund, du darfst mitspielen. Aber der XY ist nicht mein Freund, der darf nicht mitmachen!“)

Susanna Steimer Miller: Kleine Kinder suchen den Kontakt mit anderen Kindern oft durch Boxen, Schlagen und Stoßen? Warum?

Biber_Hase_Baby_SandkastenStefanie Rietzler: Dass Kleinkinder -aus Erwachsenensicht- etwas unbeholfen Kontakt zu Gleichaltrigen herstellen, ist normal. Manche Kinder stürmen auf ein anderes zu und überfallen es mit einer überschwänglichen Umarmung, andere platzen ohne Vorwarnung in eine laufende Aktivität und reissen das Spielzeug an sich, wieder andere rempeln mögliche Spielpartnerinnen an, ziehen ihr an den Haaren oder boxen sie. Ein möglicher Grund ist sicherlich, dass den Kindern in diesem Alter die Sprache als Medium zur Kontaktaufnahme noch nicht vollständig zur Verfügung steht und sie deshalb auf andere Wege ausweichen müssen, um auf sich aufmerksam zu machen. Bei näherem Hinsehen lässt sich oft auch beobachten, dass Kinder ihren Körper vehementer einsetzen, wenn sie zuvor auf eine positive Art und Weise versucht haben, mit dem anderen Kind in Kontakt zu kommen, und daran gescheitert sind. Vielleicht wollten sie ihrem Gegenüber etwas zeigen („Schau!“) oder ihm etwas geben („Da!“) und sind nicht weiter beachtet worden. Manchmal verbirgt sich dahinter auch schlicht und einfach ein Gerangel um einen beliebten Gegenstand, mit dem beide jetzt sofort spielen möchten, was typisch ist für die Phase des nebeneinander her Spielens. Gerade jüngeren Kindern fällt es zudem noch schwer, ihre Gefühle und Impulse zu beeinflussen: Im einen Moment sind sie voller Begeisterung, rennen einem anderen Kind vergnüglich nach und suchen Kontakt, im nächsten wird es ihnen zu intensiv und sie verschaffen sich wieder Raum, indem sie sich körperlich abgrenzen. Sie müssen erst lernen, wie sie auf angenehmere Art und Weise miteinander in Kontakt treten können und die Begegnungen so gestalten, dass beide sich wohlfühlen.

Susanna Steimer Miller: Manche Mütter wünschen sich, dass ihr Kind sich mit dem Kind ihrer Freundinnen anfreundet. Warum klappt das nicht immer und wie sollen sich die Mütter verhalten, wenn sich ihre Kinder nicht mögen?

Stefanie Rietzler: Für viele befreundete Elternpaare wäre es „praktisch“, wenn sich der Nachwuchs gut versteht. Es ist auch nachvollziehbar, dass Treffen mehr Freude bereiten, wenn die Kinder einträchtig miteinander spielen, während man sich als Erwachsene austauscht. Aus der Freundschafts- und Paarforschung wissen wir, dass es einen sogenannten „mere exposure effect“ gibt, das heisst, dass wir uns durch häufiges Sehen sympathischer werden. Manchmal kann man also darauf vertrauen, dass es einfach eine Anwärmzeit braucht, bis sich die Kinder aufeinander einlassen können.

Wem dieser Aspekt sehr wichtig ist, kann im Vorfeld mit der Freundin gemeinsam überlegen, welche Unternehmungen beziehungsweise Spiele beide Kinder geniessen würden und wie man die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, dass der Nachwuchs zusammen eine schöne Zeit erlebt. Gemeinsame Aktivitäten, die die Kinder als lustvoll erleben, bereiten oftmals einen guten Boden für erste Kontakte und schweissen zusammen. Oftmals berichten mir Eltern, dass es sich lohnt, bestimmte Spielsachen oder Brettspiele, die klassischerweise für Streit mit „dem Besuch“ der Kinder sorgen, außer Reichweite zu deponieren, damit nicht gleich zu Beginn die Stimmung kippt. Ich persönlich halte es unabhängig davon für wichtig, die Bedürfnisse und Gefühle der Kinder zu respektieren. Dazu gehört für mich auch das Bewusstsein, dass sich „eine gute Chemie“ oder eine Freundschaft nicht erzwingen lässt. Ich denke da immer an uns Erwachsene, die wir uns ebenfalls ungerne vorschreiben lassen, mit welchen Menschen wir uns privat umgeben möchten. Dieses Recht sollten wir auch den Kindern zugestehen. Falls sich kein freundschaftliches Klima zwischen dem Nachwuchs einstellen möchte, tut man gut daran, dies zu akzeptieren anstatt die Kinder permanent dazu zu drängen, etwas zusammen zu machen. Oftmals stört es die Kinder nämlich viel weniger als ihre Eltern, wenn sie sich jeweils mit ihren eigenen Spielsachen in einer Ecke beschäftigen, oder für sich etwas bauen während das andere Kind im Nebenraum einem Hörspiel folgt.

Susanna Steimer Miller: Warum sind Freunde für Kinder so wichtig?

Stefanie Rietzler: Freunde sind bedeutsame Entwicklungsbegleiter. Ein grosser Teil der sozialen Kompetenzen entwickelt sich nämlich im freien Spiel. In Freundschaften lernen Kinder ihre Ideen einzubringen, zu verhandeln, Kompromisse zu schließen, zu teilen, sich füreinander einzusetzen, sich einander anzuvertrauen und Geheimnisse zu bewahren, sich zu streiten und sich wieder zu vertragen. In Freundschaften ergründen Kinder und Jugendliche also gemeinsam, wie man sich auf dem sozialen Parkett der Gleichaltrigen bewegt. Gleichzeitig bieten sie Kindern -neben der Familie- die wunderbare Möglichkeit, ihr Bedürfnis nach Verbundenheit, nach Anerkennung und nach Einfluss zu stillen. Damit tragen sie wesentlich zu einer gesunden Entwicklung bei.  Aus der Forschung mit Jugendlichen und Erwachsenen wissen wir, dass sich Menschen mit guten sozialen Kontakten über eine höhere Lebenszufriedenheit, eine bessere körperliche und psychische Gesundheit und sogar über eine höhere Lebenserwartung freuen dürfen. Freundschaften bleiben also über die gesamte Lebensspanne hinweg enorm bedeutsam.

Kinderfreundschaften

Susanna Steimer Miller: Weshalb können Eltern für ihre Kinder Freunde nicht ersetzen?

Stefanie Rietzler: Wir Menschen haben ein angeborenes Bedürfnis nach Bindung und Beziehung. Wird dieses Bedürfnis frustriert, weil wir einsam sind oder zurückgewiesen werden, dann blinkt das Schmerzzentrum im Gehirn auf: wir leiden, es versetzt uns „einen Stich“ oder „bricht uns das Herz“. Wenn Kinder solche Erfahrungen in der Krippe, im Kindergarten oder in der Schule machen, können erwachsene Bezugspersonen diesen Schmerz nur bedingt auffangen. Eine Schülerin, die Schwierigkeiten hatte, Anschluss zu finden, hat es einmal sehr treffend formuliert: „Ich liebe meine Familie und ich bin froh, dass ich sie habe. Sonst wäre ich ganz alleine. Aber manchmal denke ich auch: meine Eltern müssen mich ja liebhaben, weil sie meine Eltern sind. Ich hätte so gerne auch Leute in der Schule oder im Sportverein, die freiwillig mit mir zusammen sein wollen – einfach, weil sie mich mögen und nicht, weil sie zufällig mit mir verwandt sind.“ Eltern sind und bleiben in jeder Lebensphase wichtig, aber mit zunehmendem Alter werden die Gleichaltrigen und Bezugspersonen ausserhalb der Familie bedeutsamer. In den sogenannten JAMES-Studien haben Kinder und Jugendliche in der Schweiz beispielsweise angegeben, dass „Freunde treffen“ ihre wichtigste nichtmediale Freizeitbeschäftigung ist und Freundschaft wurde von 97 % als der wichtigste „Wert“ in ihrem Leben bezeichnet. Das Zusammensein mit Gleichaltrigen hat demnach einen hohen Stellenwert. Ich denke, das hat verschiedene Gründe: Einerseits teilen Kinder und Jugendliche mit ihren Freunden andere Alltagssituationen, zu denen wir Erwachsene nur wenig Zugang haben. Denken wir nur an die vielen Stunden in der Schule oder auf dem Nachhause-Weg mit Klassenkameraden, an die Flüstereien mit der besten Freundin über die erste zarte Verliebtheit oder an das „Kräftemessen“ mit anderen im Sporttraining. Gleichaltrige Freunde befinden sich in derselben Entwicklungsphase und bringen deshalb auch eine andere Perspektive auf wichtige Themen wie Beziehungen, Freizeitgestaltung oder Schule mit ein als Eltern. Auch gelten in Freundschaften etwas andere soziale Regeln und man bespricht und unternimmt ein wenig andere Dinge als mit den Eltern. Wenn Kinder keinen Anschluss finden, fällt dieser wichtige Kontext weg, in dem sie solche sozialen Erfahrungen machen können und vielleicht auch andere Facetten ihrer Persönlichkeit zum Vorschein bringen als in der Familie.

Susanna Steimer Miller: Was kennzeichnet eine gute Freundschaft?

Stefanie Rietzler: Es lohnt sich, sich diese Frage anders zu stellen, nämlich: Was haben die Freundschaften meines Kindes Gutes? Versetzen wir uns in die Perspektive unseres Kindes und versuchen wir einmal, die Kontakte, die es pflegt, durch seine Augen zu sehen: Was fasziniert Ihr Kind wohl an diesem Gspänli? Ist es die stürmische Art, das ruhige Wesen, sind es seine Fussballkünste, seine Art zu spielen, sein Ideenreichtum oder die gemeinsame Abenteuerlust? Was teilen diese beiden miteinander? Welche Momente sind schön? Bei diesem Gedankenspiel wird uns oftmals bewusst, dass die meisten Freundschaften den Alltag unserer Kinder in unterschiedlicher Form bereichern und ihre Welt schöner und bunter machen. Und wir merken oft auch, dass eine Kategorisierung in „bessere“ oder „schlechtere“ Freundschaften diesem Aspekt nicht gerecht wird.

Susanna Steimer Miller: Welche Kinder sind als Freunde besonders beliebt?

Stefanie Rietzler: Ein wichtiger Aspekt, der Kinder für andere sympathisch erscheinen lässt, ist ihr prosoziales Verhalten. Beliebte Spielpartner/innen zeigen oftmals eine positive Grundstimmung und ein offenes Gemüt: sie laden andere Kinder ein, mitzuspielen oder mitzumachen und sind dazu in der Lage, sich abzuwechseln und andere drankommen zu lassen; sie teilen mit der Gruppe und sind zur Stelle, wenn sich jemand wehgetan hat oder Hilfe braucht; sie haben viele und gute Spielideen, zeigen aber auch Interesse an dem, was die anderen Kinder sagen und tun; sie verhalten sich so gut es geht verträglich und können meist fair bleiben.

Wie findet mein Kind Freunde?All diese Signale wirken wie eine Art „Einzahlung auf ein Freundschaftskonto“. Oftmals bewundern Kinder auch die Alteren für ihre Größe, Stärke, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre tollen Spielvorschläge – und möchten entsprechend gerne mit ihnen unterwegs sein. Auch spannende Spielsachen können kurzfristig dafür sorgen, dass sich eine Gruppe um ein einzelnes Kind schart. Dieser Effekt hält aber meist nicht lange an.

Susanna Steimer Miller: Wie können Eltern die ersten Freundschaften ihrer Kinder beeinflussen? Wie können Eltern ihr Kind beim Knüpfen von Freundschaften unterstützen?

Stefanie Rietzler: In einem ersten Schritt ist es hilfreich, Räume auszumachen, in denen Freundschaften generell entstehen könnten. Welche Kinder gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft? Wo sind die nächsten Spielplätze und wen trifft man dort? Wie steht es um den Nachwuchs der Verwandten? Mit wem ist das Kind gerne in der Krippe oder im Kindergarten zusammen?

Wenn Eltern etwas dazu beitragen möchten, dass ihr Kind Freundschaften schliessen kann, sollten sie auf genügend Möglichkeiten für freies, unbeobachtetes Spiel achten. Das heisst konkret, den Alltag des Kindes nicht mit unzähligen Aktivitäten zuzupflastern, sondern lieber freie Zeit zu schaffen, um sich ohne die Anleitung eines Erwachsenen in ein Spiel zu vertiefen. Vielleicht findet sich eine Möglichkeit, dass ein Nachbarskind oder eine Spielgefährtin aus der Krippe häufiger vorbeikommen darf. Wir können als Eltern auch bewusst darauf achten, dem Besuch das Gefühl zu geben, dass er im eigenen Haushalt willkommen ist. Schon kleine Signale machen hier einen grossen Unterschied. Eine nette Begrüssung wie „Schön, dass du da bist. Laura hat sich so auf den Nachmittag mit dir gefreut!“, die Einladung zu einem Ausflug mit der Familie des Gspänli oder die Erlaubnis, noch etwas länger zu bleiben oder übernachten zu dürfen, bedeutet den Kindern oft sehr viel. Das Gefühl, willkommen zu sein, stellt sich auch dann ein, wenn Eltern während des Spielens hie und da einen Snack vorbeibringen oder mit einem kleinen Geschenk zum Geburtstag ausdrücken, dass sie sich über die Freundschaft der Kinder freuen.

Auf dem Spielplatz kommen schüchterne Kinder oft leichter mit anderen in Kontakt, wenn man ihnen Spielsachen für mehrere Personen (Federball, Wasserbomben etc.) oder etwas zum knabbern mitgibt, das sich gut teilen lässt. Während manche Kinder auch in neuen Situationen mühelos zu neuen Spielgefährten finden, stellt es gerade für schüchterne Kinder eine grosse Hürde dar, andere direkt anzusprechen oder sich in eine laufende Gruppenaktivität einzuklinken. Hier kann es hilfreich sein, Kinder auf mögliche Spielpartner/innen hinzuweisen ohne Druck aufzusetzen, indem man etwas sagt wie: „Hast du gesehen, sie liest auch Gregs Tagebücher!“ oder „Er schaut schon die ganze Zeit rüber, ich glaube, er würde auch gern mitmachen?“ „Da drüben spielen sie Ball … wollen wir uns mal in die Nähe setzen und ein wenig zuschauen?“

Susanna Steimer Miller: Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind Freunde hat, die ihnen nicht passen?

Stefanie Rietzler: Bei jüngeren Kindern würde ich sagen: nichts (lacht). Kinder nehmen unterschiedliche Aspekte aus jeder einzelnen Freundschaft mit. Vielleicht verbringt ein Kindergärtler gerne Zeit mit einem jüngeren Kind aus der Gruppe und lebt dabei seine kleinkindlich-verspielte Seite aus und geniesst es, sich um seinen Schützling zu kümmern und ihm alles zu zeigen. Vielleicht ärgert man sich als Eltern über die sprunghafte, forsche und etwas dominante Art eines Freundes und würde den Kontakt gerne unterbinden – aber das eigene Kind empfindet genau das als spannend und würde sich gerne eine Scheibe davon abschneiden. In der Psychologie geht man davon aus, dass Freundschaften auch der „Erweiterung des Selbst“ dienen, das heißt, dass bestimmte Persönlichkeitsanteile von anderen in uns anklingen und uns dazu motivieren, uns weiterzuentwickeln. Deswegen würde ich dafür plädieren, verschiedene Freundschaften zuzulassen, auch wenn uns gewisse Kinder vielleicht weniger sympathisch sind oder aus eigener Sicht nicht zum eigenen Kind „passen“. Einschreiten würde ich nur dann, wenn die Sicherheit des Kindes bedroht ist, wenn die Freundschaft für das Kind zur Belastung wird oder wenn das Kind zu schädlichem Verhalten angestiftet wird, z.B. zu kriminellen oder aggressiven Taten. Hier wäre es aus meiner Sicht wichtig, mit dem Kind über diese Beobachtungen zu sprechen, konkret zu benennen, worüber man sich Sorgen macht und klar Stellung zu beziehen, mit welchen Punkten man nicht einverstanden ist. Denn Kinder sind in solchen Fällen oft selbst in einem inneren Konflikt: auf der einen Seite steht eine gewisse Faszination für „das Verbotene“ und ein Druck, mitzumachen, auf der anderen Seite nagt das Unwohlsein und Schuldgefühle an ihnen, wenn sie bestimmte Grenzen überschritten haben. Wenn es Eltern gelingt, dieser inneren Zerrissenheit in einem Gespräch auf die Spur zu kommen, sind die Kinder oft auch eher bereit, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Susanna Steimer Miller: Warum sind manche Kinderfreundschaften so kurzlebig?

Stefanie Rietzler: Vermutlich wirken hier verschiedene Aspekte. Je jünger die Kinder sind, desto stärker sind ihre Freundschaften an die Strukturen der Erwachsenen gebunden. Sie können schlichtweg noch nicht alleine in der Nachbarschaft umherstreifen, um ihre Freunde zu treffen oder wohnen zu weit voneinander entfernt, sodass sie darauf angewiesen sind, dass Eltern etwas „für sie ausmachen“ und ihren Fahrdienst zur Verfügung stellen. Gleichzeitig gibt es in jungen Jahren viele Wechsel: Anpassungen der Krippentage, der Übergang in den Kindergarten und später in die Schule können dafür sorgen, dass Berührungspunkte zwischen einstigen Freunden wegfallen und damit die gemeinsame Spielzeit schwindet. Genau dies hält eine Freundschaft im Kindesalter jedoch frisch. Auf der anderen Seite schwingen Freundschaften mit dem emotionalen Auf und Ab der Kinder mit. Nicht selten kochen wegen eines unscheinbaren Konflikts die Gefühle derart hoch, dass unmittelbar ein „du bist nicht mehr meine Freundin“ fällt – nur um zehn Minuten später wieder ein Herz und eine Seele zu sein. Es ist jedoch gar nicht so selten, dass einzelne Freundschaften aus dem Kindergarten bis ins Jugend- oder Erwachsenenalter erhalten bleiben.

Susanna Steimer Miller: Wie sollen Eltern reagieren, wenn eine Freundschaft ihres Kindes zerbricht?

Stefanie Rietzler: Auch Kinderfreundschaften gehen durch Höhen und Tiefen. Es ist hilfreich, sich bewusst zu machen, dass ein „Du bist nicht mehr mein Freund!“ nicht zwangsläufig ein Zerbrechen einer Freundschaft darstellt, sondern bei Kindern oftmals gleichbedeutend ist mit einem „Ich bin gerade wütend auf dich oder enttäuscht von dir.“ Falls Ihr Kind von einer schwierigen Situation mit einem Freund / einer Freundin berichtet, können Sie in einem ersten Schritt einfach zuhören und seine Gefühle wahrnehmen („Das hat dich sicher traurig gemacht, hm?“, „Da wäre ich auch wütend geworden.“). Lassen Sie sich nicht dazu hinreissen, Ihr Kind mit einem „das ist doch nicht so schlimm.“ abzuspeisen oder ihm vorschnell eine vermeintliche Lösung zu unterbreiten: Im Moment findet Ihr Kind die Situationen wahrscheinlich sehr wohl schlimm und ist nicht bereit, auf gute Ratschläge einzugehen. Sobald sich die Gemüter ein wenig beruhigt haben, können Sie mit Ihrem Kind überlegen, wie es jetzt weitergehen kann: Gab es einen Streit? Wäre eine Wiedergutmachung nötig und wie könnte diese aussehen? Was könnte jede/r einzelne tun, damit die Beziehung wieder ins Lot kommt? Spielen Sie gemeinsam verschiedene Möglichkeiten durch und lassen Sie Ihr Kind eine Entscheidung treffen. Falls sich eine Freundschaft verläuft und sich nicht mehr kitten lässt, kann es entlastend sein, den Blick neu auszurichten: zu welchen Kindern aus dem Kindergarten, der Schule oder dem Turnverein würde Ihr Kind den Kontakt gerne intensivieren? Wen davon könnte es in nächster Zeit im Kindergarten, in der Pause oder am Nachmittag zum Spielen einladen? Welche alten Kontakte können wiederbelebt werden? Wer ist vielleicht ebenfalls „auf der Suche“ nach einem Spielgefährten und würde sich über etwas mehr Anschluss freuen?

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Über Stefanie Rietzler

Stefanie Rietzler Psychologin

Stefanie Rietzler ist Psychologin mit Weiterbildung in bindungsbasierter Beratung und Therapie und leitet gemeinsam mit Fabian Grolimund die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Sie sind Autoren des Ratgebers „Geborgen, mutig, frei – wie Kinder zu innerer Stärke finden“, des Elternratgebers „Erfolgreich lernen mit ADHS“ (Hogrefe, 2016) sowie des Buchs „Clever lernen“ für Jugendliche ab 12 Jahren.

Hinweis: Das Interview ist in gekürzter Fassung in der Mai-Ausgabe des Magazins Baby&Kleinkind erschienen und wurde von der Chefredakteurin Susanna Steimer Miller geführt. Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung.