Mobbing in der Schule: was tun?

Interview mit den Experten Heike Blum und Detlef Beck von fairaend zu den Ursachen und Warnsignalen von Mobbing und darüber, wie es sich auflösen lässt.

Woran erkenne ich als Lehrperson, dass ein Kind gemobbt wird? Wo hört „normales Ärgern“ unter Kindern auf und wo fängt Mobbing an?

In der Tat ist es nicht immer einfach für Lehrkräfte einzuschätzen, ob in ihrer Klasse eine Mobbing-Situation vorliegt oder nicht. Und sicher werden die Kinder, wenn man sie fragt, nicht antworten: „Ja, wir mobben XY.“ Im Gegenteil: Sie antworten, dass es nur Spaß war, XY Schuld hat, weil er immer so komisch schaut, oder was auch immer. Das heißt, auf diesem Weg gelingt es selten, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Auch die Frage danach, ob es sich bei beobachtbaren Vorfällen um „normales Ärgern“ oder vielleicht schon um Mobbing handelt, ist ad hoc so einfach nicht zu beantworten und bringt nicht wirklich weiter.

Dies liegt zum Einen daran, dass im Laufe einer Unterrichtsstunde viele Dinge ins Blickfeld der Lehrkraft geraten, auf die sie eingehen und individuell reagieren muss. An vielen Ecken und Enden entsteht Handlungsbedarf, der die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte voll und ganz bindet.

Zum Anderen – und das ist im Fall von Mobbing entscheidend – finden Mobbing-Handlungen wie das Ärgern, Beleidigen, Schubsen oder etwas kaputt Machen verdeckt und im Hintergrund statt, so dass diese Handlungen für die Lehrkräfte oftmals nur schwer wahrnehmbar sind. Mobbing-AkteurInnen achten in aller Regel gut darauf, dass sie nicht ins Blickfeld der Lehrkräfte geraten, sondern lancieren ihre Handlungen geschickt so, dass vielmehr der von Mobbing-Betroffene unschön in Szene gesetzt wird. Nicht selten sind es daher die von Mobbing betroffenen Kinder, die Ermahnungen und Sanktionen seitens der pädagogischen Kräfte erfahren und nicht die Mobbing-AkteurInnen.

Und wie kommt man nun der Wahrheit, dass es sich um Mobbing handelt, auf die Spur?

Genau das ist auch unsere Frage, die wir den pädagogischen Fachkräften stellen, die zu unseren Fortbildungen kommen: „An welchen sichtbaren Signalen und Handlungen könnten Sie erkennen, dass ein Schüler oder eine Schülerin in Ihrer Klasse möglicherweise Opfer von Mobbing ist?“ Diese Frage impliziert schon, dass es ein sehr genaues Hinschauen benötigt, um auf eine Mobbing-Situation in der Klasse aufmerksam zu werden und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Ja, Ihr sprecht davon, dass Ihr das Instrument der „Mobbing-Brille“ entwickelt habt und einsetzt, um Mobbing besser und frühzeitiger zu erkennen. Was meint ihr damit? Und wie funktioniert sie?

Stimmt. Vor dem Hintergrund, dass Mobbing nicht für alle offen sichtbar ausgetragen wird und daher auch so schwer zu erkennen ist, haben wir das Instrument der „Mobbing-Brille“ entwickelt, mit dem wir gute Erfahrungen machen Die Mobbing-Brille hilft, die vielen einzelnen Puzzlesteine, die während des Unterrichts zu Tage treten, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Wir setzen die Mobbing-Brille „symbolisch“ auf, z.B. wenn wir bemerken, dass sich ein Kind oder ein Jugendlicher – ohne für die Lehrkraft sichtbaren Grund – im Verhalten oder im Aussehen verändert hat oder aber Eltern einen Mobbing-Verwurf äußern.

Unter der Prämisse: „Es könnte sich vielleicht um Mobbing handeln“ schauen wir uns die Situation mit dem Blick auf drei, für das Erkennen einer Mobbing-Situation zentralen Bereiche (Signale, Handlungen, Informationsquellen), genau an.

  • Signale

Bereich 1 betrifft die typischen Signale, die bei Schülern und Schülerinnen auftreten, die von Mobbing betroffen sind. Wahrnehmen lässt sich in solchen Fällen zum Beispiel, dass ein Kind häufig allein in der Pause steht, nicht mehr mit anderen Kindern spielt oder auch lieber allein arbeitet als mit den anderen zusammen. Vielfach klagen die Kinder über Kopf- oder Bauchschmerzen, kommen zu spät in den Unterricht, weil sie Umwege gehen oder einen späteren Bus nehmen, suchen Schutz bei den Erwachsenen. Sie zeigen dies, indem sie nach dem Unterricht den Kontakt zur Lehrkraft suchen, nicht in die Pause wollen, sich in der Nähe des Lehrerzimmers oder im Sekretariat aufhalten. Signal kann auch sein, dass der Sportunterricht gemieden wird. Dauert das Mobbing länger an, weigern sich die Kinder zur Schule zu gehen, so dass die Fehl- und Krankheitszeiten zunehmen. Ernst zu nehmen sind Verhaltensänderungen der SchülerInnen: Im Vergleich zur Zeit zuvor wirken sie ängstlich, ziehen sich zurück, werden aggressiv, platzen vor Wut oder weinen viel.

  • Handlungen

Bereich 2 der Betrachtung konzentriert sich auf die Handlungen, die im Unterricht, in der Klasse oder auf dem Schulhof zu sehen sind und die sich gegen eine bestimmte Schülerin oder einen Schüler richten. Bei genauerem Hinschauen lässt sich erkennen, dass das Kind häufiger ausgelacht wird oder abwertende Bemerkungen und Beleidigungen fallen, wenn es etwas sagt. Oftmals lässt feststellen, dass das Kind aktiv von Gruppenarbeiten ausgeschlossen wird, andere SchülerInnen es beschuldigen, etwas getan zu haben, was gar nicht stimmt. Zu beobachten ist auch, dass das Kind beim Sport zuletzt oder gar nicht gewählt oder z.B. bei Ballspielen gezielt angeschossen wird.

  • Informationsquellen

Bereich 3 erweitert den Kreis der Informationsquellen über die eigene Beobachtung hinaus auf weitere Personen, die ebenfalls Auskunft über die Situation des Kindes geben können. Hilfreiche Personen sind MitschülerInnen, Eltern, SportlehrerInnen, KollegInnen, Schulsozialarbeitende, Mensa-Personal, BusfahrerInnen, HausmeisterInnen… .

Für uns ist der Fokus auf diese drei Bereiche ein gutes Analysewerkzeug, das dabei hilft, Mobbing zu erkennen – auch frühzeitig. Denn, wenn sich bei genauerer Betrachtung – sagen wir mal – 6 bis 8, manchmal sogar mehr der typischen Signale und Handlungen mit Blick auf den Schüler oder die Schülerin identifizieren lassen und dies durch eine weitere „Informationsquelle“ bestätigt wird, können wir relativ sicher sein, dass wir es sehr wahrscheinlich mit Mobbing zu tun haben. „Wahrscheinlich“ heißt, es kann sich immer auch noch um etwas anderes handeln, als um Mobbing. Aber auf jeden Fall zeigt sich, dass es hier einem Kind oder Jugendlichen gar nicht gut geht und es seitens der Schule Zeit ist, aktiv zu werden und zu handeln.

Kinder werden teilweise über Jahre hinweg gemobbt. Wie kann es sein, dass eine Situation, unter der Kinder so sehr leiden, so lange bestehen bleibt?

Ja, das stimmt. Es ist erschütternd, wenn wir erfahren, dass ein Kind oder ein Jugendlicher über so lange Zeiträume hinweg Opfer von Mobbing gewesen ist, ohne dass es jemand gesehen, bemerkt oder gar eingegriffen hat. Das ist beschämend sowohl für den Schüler oder die Schülerin als auch für das System Schule, das bis dahin keine ausreichenden Schritte unternommen hat, konsequent gegen das Mobbing vorzugehen. Das ist sehr, sehr traurig und darf auf keinen Fall so sein.

Warum bleibt Mobbing so lange unerkannt und hört nicht einfach wieder auf, fragst du. Wir haben weiter oben bereits davon gesprochen, dass es für pädagogische Fachkräfte nicht immer leicht ist, Mobbing im Rahmen des Schulalltags zu erkennen, u.a. weil es seitens der Mobbing-AkteurInnen absichtlich verdeckt abläuft. Es bedarf – wie vorhin erläutert – gezielter Beobachtung, um das Mobbing sichtbar zu machen. Genau hier hilft die Mobbing-Brille die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, Mobbing-Situationen zu erkennen. Wenn erst einmal klar ist, dass in einer Klasse eine Mobbing-Dynamik im Gang ist, kann auch zielführend etwas gegen das Mobbing getan werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt – also bevor es bemerkt und erkannt wird – ist Mobbing ein sehr stabiles System, dessen destruktive Dynamik ohne eine klare Unterbrechung von außen, ihren freien Lauf nimmt und sich mehr und mehr verfestigt.

Vielfältige Faktoren tragen dazu bei, dass Mobbing andauert und sich nicht auflöst. Dazu gehören:

  • Ein extremes Machtungleichgewicht, welches sich zwischen den Mitgliedern der Klasse und dem von Mobbing betroffenen Kind bildet, so dass es sich zu einer Situation „Alle gegen Einen“ entwickelt, je länger das Mobbing andauert.
  • Unterschiedliche Rollen, die von den SchülerInnen eingenommen und ausgefüllt werden: In der Regel setzt sich ein Mobbing-System aus einem Hauptakteur oder einer Hauptakteurin, mehreren MitläuferInnen und einer großen Anzahl an Zuschauenden zusammen. Zu letzteren gehören Schüler und Schülerinnen, die z.B. Angst haben, etwas gegen die AkteurInnen zu sagen, das Geschehen aber trotzdem nicht gutheißen. Andere wiederum verhalten sich gleichgültig, halten sich aber aus der Sache raus oder schauen tatsächlich zu. Es gibt auch diejenigen, die unterstützen wollen, aber nicht genügend Kraft entwickeln, die Situation zu verändern.
  • Große Angst der von Mobbing betroffenen Person, Hilfe und Unterstützung von außen zu erbitten, da es aus ihrer Sicht im System Schule und auch Zuhause niemanden gibt, der ihr wirklich helfen kann. Im Gegenteil, die Sorge ist groß – und dafür gibt es berechtigte Gründe -, dass es noch schlimmer wird, wenn sich Erwachsene einmischen. Die SchülerInnen befürchten dann, als PetzerInnen dazustehen und weitere Aggression der AkteurInnen auf sich zu ziehen.
  • MitschülerInnen, die helfen wollen, erfahren ebenfalls Druck von den Mobbing-AkteurInnen und werden aufgefordert, den Mobbing-Betroffenen zu meiden. Ansonsten droht ihnen Ärger.
  • Sehr begünstigend ist, dass es keine klare, die Mobbing-Handlung stoppende Intervention von außen seitens der pädagogischen Fachkräfte gibt. Erwachsene sehen häufig hilflos zu, wissen nicht, wie sie reagieren sollen und geraten so ebenfalls in die Rolle der Zuschauenden, was wiederum das Mobbing festigt.
  • Die hohe Zahl von Zuschauenden, die entweder wegschauen, nichts tun oder nur zuschauen, stabilisieren die Mobbing-Dynamik enorm, da aus dieser Gruppe keine Impulse der Gegenwehr kommen, die deutlich machen, dass das, was mit dem Schüler/der Schülerin passiert, nicht in Ordnung ist und aufzuhören hat.

Das Fatale an dieser Situation ist, dass, je länger das Mobbing andauert, sich eine Dynamik entwickelt, in der das von Mobbing betroffene Kind stark verunsichert wird, sich – aus Sicht der anderen – negativ verändert und in der Folge mehr und mehr von den anderen abgelehnt wird. In diesem Prozess verliert das Kind/der Jugendliche zunehmend an Unterstützung, hat bald keine Freunde mehr und wird so immer weiter isoliert. Es steht letztlich allein da. Eine weitere negative Auswirkung ist: Immer mehr Mitglieder des Systems (MitschülerInnen, aber auch Lehrkräfte, Eltern anderer Kinder…) betrachten das von Mobbing betroffene Kind als das eigentliche Problem.

Wer sollte sich in einer Schule darum kümmern, wenn ein Kind gemobbt wird?

Die zentrale Verantwortung im System Schule, in Mobbing-Fällen zu intervenieren, sehen wir bei den pädagogischen Fachkräften (Lehrkräfte, Schulleitung, Schulsozialarbeitende …), deren Aufgabe es ist, Lernbedingungen zu schaffen, die gesund sind und gesund erhalten.

Um ein gutes Klima in der Klasse zu haben, ist darüber hinaus natürlich jede und jeder mitverantwortlich, dass es allen gut geht. Wenn eine Mobbing-Situation in der Klasse entsteht, sind – wie schon erklärt – letztlich alle Mitglieder der Klasse in irgendeiner Form an dieser Situation beteiligt – sei es, weil sie wegschauen, zuschauen oder mitmachen.

Auch Eltern können einen Beitrag leisten, indem sie darüber informieren, wenn sie über ihre eigenen Kinder davon erfahren, dass es einem Kind in der Klassengemeinschaft nicht gut geht, weil es schikaniert wird. Allerdings ist dies ein sehr sensibler Bereich. Es ist seitens der Schule darauf zu achten, dass Eltern nicht in die Situation kommen, sich gegenseitig zu beschuldigen und miteinander in Konflikt zu geraten. Das heißt, eine solche Aufforderung an die Eltern bedarf immer auch einer achtsamen Abwägung und Begleitung.

Könnt ihr kurz beschreiben, was sich hinter dem No Blame Approach verbirgt?

Ja, gerne. Der No Blame Approach (wörtlich „Ansatz ohne Schuldzuweisung“) ist eine wirksame Vorgehensweise, um Mobbing unter Schülerinnen und Schülern zeitnah und nachhaltig zu beenden. Dabei liegt die besondere Faszination des Ansatzes darin, dass – trotz der schwerwiegenden Mobbing-Problematik – auf Schuldzuweisungen und Bestrafungen verzichtet wird.

Der No Blame Approach ist in seinem Vorgehen klar strukturiert. Er umfasst drei zeitlich aufeinander folgende Schritte, die innerhalb eines Zeitraums von 8 bis 14 Tagen realisiert werden.

  • Schritt 1: Gespräch mit dem Mobbing-Betroffenen
  • Schritt 2: Bildung einer Unterstützungsgruppe, die die Akteure und Akteurinnen des Mobbings als ExpertInnen für die Lösung einbezieht
  • Schritt 3: Nachgespräche mit allen Beteiligten

Durchführende Personen des Ansatzes sind die pädagogischen Fachkräfte in der Schule (Klassenleitungen, Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeiter- und pädagogInnen, Schulleitung, …). Durchweg positiv sind die Erfahrungen, die mit der Gesprächsführung im Team (beispielsweise Schulsozialarbeiter und Klassenlehrerin) gemacht werden.

Der No Blame Approach ist eine lösungsorientierte Vorgehensweise. In allen Schritten der Durchführung richtet sich der Blick darauf, konkrete Ideen zu entwickeln, die eine Verbesserung der Situation für das von Mobbing betroffene Kind herbeiführen und damit das Mobbing stoppen soll.

Der Ansatz vertraut dabei auf die Ressourcen und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, wirksame Lösungen auch im Fall von Mobbing herbeizuführen. Die Praxis zeigt, Kinder und Jugendliche helfen gerne, auch diejenigen, von denen man es vielleicht nicht erwartet.

Die Quote erfolgreicher, d.h. nachhaltiger Interventionen mit dem No Blame Approach im Fall von Mobbing liegt bei nahezu 85%.

Trotzdem, und das ist uns wichtig zu sagen: Wir kennen keine Vorgehensweise, die immer funktioniert. Deswegen ist es gut und wichtig, dass Schulen mehrere Methoden in ihrem pädagogischen Handwerkskoffer haben.

Möglicherweise habt ihr Lust, von einem Beispiel zu erzählen, bei dem der NBA in der Schule erfolgreich umgesetzt wurde?

Es gibt sehr viele gelungene Beispiele, von denen wir in den letzten 20 Jahren erfahren haben und worüber wir gerne berichten. Ein Beispiel ist das eines 15-jährigen Schülers, der – wie sich später herausstellte – seit der 5. Klasse Opfer von Mobbing war. Ein Schulsozialarbeiter berichtete uns über sein Vorgehen mit dem No Blame Approach in einem 2-stündigen Interview. Wir stellen das Interview hier in gekürzter Form zur Verfügung, da es sehr schön die konkrete Vorgehensweise mit dem Ansatz skizziert.

Heike Blum /Detlef Beck (InterviewerInnen) Antworten des Schulsozialarbeiters

Wie wurden Sie auf den Fall aufmerksam bzw. wie wurden Sie informiert?

 

 

Ich wurde durch den Schulleiter aufmerksam gemacht. Der war von den Eltern des betroffenen Schülers informiert worden, dass es ihrem Sohn zunehmend schlechter ginge, was mittlerweile dazu geführt habe, dass er dauernd krank sei und nicht mehr in die Schule wolle. Er hätte bereits 50 Fehlstunden. Ich schlug daraufhin dem Schulleiter vor, die No Blame Approach–Methode anzuwenden.

 

Gab es zu einem früheren Zeitpunkt bereits Anzeichen, dass der Schüler Opfer von Mobbing ist? Ja, schon in der 7. Klasse. Damals gab es auf Initiative des Klassenlehrers einen Runden Tisch, an dem die Schulleitung, der Klassenlehrer, der betroffene Schüler und seine Eltern wie auch die Mobbing-AkteurInnen samt Eltern teilnahmen. Obwohl gut gemeint, war dies eine sehr heikle Sache. Die Stimmung in diesem Gespräch war sehr angespannt und es wurden viele gegenseitige Beschuldigungen ausgesprochen. Trotzdem, die Situation hatte sich zunächst verbessert, hielt aber nicht lange an, was dann allerdings nicht mehr weiterverfolgt wurde.
Wie sind Sie vorgegangen?

Zunächst habe ich den Schulleiter über die Methode informiert. Anschließend habe ich mich an die aktuelle Klassenleitung gewandt und sie über mein Vorhaben unterrichtet. Sie erzählte mir, dass sie zwar von der Mobbing-Situation gehört habe, dies aber selbst nicht als so schlimm wahrgenommen habe. Die 50 Fehlstunden bestätigte sie und räumte ein, sie hätte das häufige Kranksein des Schülers nicht mit Mobbing in Verbindung gebracht.

Im Weiteren habe ich die Eltern informiert, dass ich mich um die Situation ihres Sohns kümmere und habe ihnen erklärt, wie ich vorgehen werde. Sie waren damit einverstanden.

Ich habe den betroffenen Schüler zu einem Gespräch zu mir in mein Büro eingeladen und ihm erzählt, dass mir zu Ohren gekommen sei, dass es ihm sehr schlecht gehe. Er bestätigte mir dies etwas zögerlich und berichtete im weiteren Verlauf, dass er oft schon morgens Bauchschmerzen habe und in der letzten Zeit häufig die Schule vorzeitig wegen Bauchweh verlassen würde. Er erzählte auch, dass er das Problem mit der Klasse schon seit der 5. Klasse habe und es sich auch nach dem „Runden Tisch“ in der 7. Klasse nicht so sehr viel gebessert habe.

Ich sagte ihm dann, dass ich den Anspruch habe, dass alle Schüler und Schülerinnen sich in der Schule wohl fühlen sollen und ich alles versuchen will, damit dies auch für ihn wieder zutrifft. Und ich fragte ihn, ob er einverstanden sei damit, ihm zu helfen, was er bejahte.

Da ich den Eindruck hatte, das Vertrauen des Schülers zu haben, fragte ich ihn dann auch nach den Namen derjenigen Schüler und Schülerinnen, die ihm das Leben besonders erschwerten, dann nach denjenigen, die sich zwar ruhig verhielten, ihn aber auch nicht unterstützten und zuletzt nach Namen von Freunden. Er nannte mir aus allen Kategorien Namen, welche ich notierte.

Dann teilte ich ihm mit, dass ich mich für ihn einsetzen werde und alle genannten Mitschüler und Mitschülerinnen gemeinsam zu einem Gespräch einladen werde, um zu schauen, was sich ändern muss, damit es zukünftig besser für den Schüler wird. Ich sagte ihm, er müsse nichts weiter tun, als zu beobachten, ob sich etwas an seiner Situation verändere. Ich würde mich kümmern. Er war erleichtert, weil er keine weiteren Gespräche in einer Großgruppe wollte.

 

 

Da die meisten mich als Sozialpädagoge kannten, war es aus meiner Sicht relativ leicht, die SchülerInnen der Unterstützergruppe für ein Gespräch zu gewinnen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich ein Problem habe, bei dem ich gerne ihre Unterstützung hätte und ob sie zu einem bestimmten Termin zu mir ins Beratungszimmer kommen könnten – mit dem Lehrer sei alles abgesprochen. Einige wollten zwar vorab wissen, um was es geht, ich habe aber gesagt, dass ich das gerne mit ihnen zusammen im Beratungszimmer besprechen würde.

Zu Beginn des Gesprächs war zunächst betretene Stille und Schweigen. Als ich dann erzählte, um wen und was es ging, gab es zuerst einige Gegenangriffe auf den Schüler, um die ich mir Sorgen machte. Er wurde offen beschuldigt, selbst für das Problem verantwortlich zu sein. Er müsse sich einfach ändern, dann wäre alles gut.

Aus anderen Fällen weiß ich, dass dies Versuche sind, erstmal alles von sich zu weisen und dass es gut ist, nicht zu sehr darauf einzugehen. Geholfen hat eigentlich immer, hier klar zu bleiben und deutlich zu machen, dass es so nicht weiter gehen kann und nach vorne zu schauen, wenn Vorwürfe und Schuldzuweisungen, gegen wen auch immer, geäußert werden. Ich empfinde es als unglaubliche Erleichterung, dort sagen zu können: „Es geht mir nicht darum zu schauen, wer was wann wie gemacht hat. Das hilft jetzt überhaupt nicht weiter. Ich brauche Euch, um gemeinsam zu schauen, wie sich alle in der Klasse wohlfühlen können.“ Danach geht das Gespräch in vielen Fällen einfach gut weiter. Manchmal muss ich das auch öfter sagen, bis mir die SchülerInnen glauben, dass ich sie nicht bestrafen will.

In dem beschriebenen Fall wurden im Laufe des Gesprächs folgende Vorschläge von den SchülerInnen gemacht:

X war jetzt so oft nicht in der Schule. Ich werde mit ihm einiges von dem verpassten Stoff nachholen.

Wir werden auf X zugehen und ihm sagen, dass er in unserer Klasse willkommen ist und dazugehört.

Ich werde noch andere aus der Klasse ansprechen und sie auffordern, ihr Verhalten gegenüber X zu ändern.

Ich werde das nächste Mal sagen, sie sollen mit den Hänseleien aufhören.

Ich werde X fragen, ob er sich mit mir treffen will, um ein klärendes Gespräch zu führen.

Eine Schülerin, die eine ehemalige Freundin war, will einen Brief an X schreiben. Sie will diesen Brief vorher mit mir durchsprechen.

 

 

 

Nach 10 Tagen traf ich mich mit allen Beteiligten in 10-Minuten Gesprächen. Das Gespräch mit dem von Mobbing betroffenen Schüler dauerte eine halbe Stunde.

Im Rahmen dieser Nachgespräche wurde deutlich, dass X wieder in die Schule kommt und es ihm wesentlich besser geht. Er selbst erzählt, dass er die MitschülerInnen ihm gegenüber anders erlebt und er das Gefühl hat, dass sie sich jetzt freundlicher ihm gegenüber verhalten.

Die Schülerinnen und Schüler der Unterstützungsgruppe schätzten die Situation dagegen etwas kritischer ein. Sie waren der Meinung, dass es schon viel besser sei als zuvor, aber noch nicht alles gut sei.

Waren weitere Interventionen notwendig? Wenn ja, welche?

 

Es wurde ein weiteres Gespräch mit der Unterstützungsgruppe vereinbart, in dem geschaut wurde, was bereits gut läuft und zur Verbesserung geführt hat und wo Weiteres unternommen werden sollte.

Die SchülerInnen haben diese erneute Aufgabe sehr gerne angenommen.

Wie ist die Situation jetzt?

 

Sehr gut. Es hat sich viel verändert in der Klasse. Ich frage ab und an zu meiner eigenen Sicherheit bei dem Schüler, den Mitgliedern der Unterstützungsgruppe oder auch der Klassenleitung nach, wie es ihnen geht, ob alles in Ordnung ist und wie sie die Klassensituation insgesamt einschätzen.

 

Wie erleben Sie die Arbeit mit dem No Blame Approach? Als Bereicherung, sowohl für mich als auch für die SchülerInnen. Es tut allen gut und die Ergebnisse sind in den allermeisten Fällen verblüffend positiv, auch wenn ich mir manchmal nicht vorstellen kann, dass der ein oder andere Schüler bereit sein wird, mir zu helfen. Was mich am meisten freut ist, dass die Auflösung des Mobbings nicht nur von kurzer Dauer ist, sondern sich die Situation nachhaltig verändert.

 

Hinweis: Diese Schritte illustriert das folgende Video:

Manche Lehrkräfte würden vielleicht gerne etwas unternehmen, haben aber Angst, die Situation für das betroffene Kind noch schlimmer zu machen…

Diese Befürchtung ist verständlich. Keiner will eine schlechte Situation noch verschlimmern. Andererseits stabilisiert das Dulden oder das Nichtintervenieren die Mobbing-Dynamik. Mit dem No Blame Approach arbeiten wir deswegen im ersten Schritt so, dass wir die Zustimmung des betroffenen Schülers oder der betroffenen Schülerin einholen und, abhängig vom Fall, auch die Zustimmung der Eltern.

Wir denken aber auch, dass keine Intervention letztlich ohne ein gewisses Risiko ist. Wir können nicht alle Entwicklungen zu 100 Prozent voraussehen, wenn wir handeln. Nicht zu handeln scheint uns im Mobbing-Fall keine sinnvolle oder hilfreiche Alternative. Wenn unerwartete Entwicklungen eintreten, vertrauen wir darauf, dass sich die Pädagogen und Pädagoginnen in einer Schule gegenseitig unterstützen und mit ihrer gemeinsamen Kompetenz dann weitere geeignete Schritte ergreifen werden, um Mobbing zu stoppen. Wichtig ist, dass die Schule an der Seite der Betroffenen steht – was auch immer passiert.

Was können Eltern eines gemobbten Kindes tun, wenn die Schule nichts unternimmt und das Kind weiterhin leidet?

Generell streben wir an, dass, wie wir gerne sagen, “Schule und Eltern Hand in Hand“ die schwierige Situation meistern. Wenn das einmal nicht gelingt, können Eltern verschiedene alternative Optionen abwägen:

  • Sich Verbündete im System Schule suchen wie z.B. Lehrkräfte, die das Kind mag und denen es vertraut, oder Vertrauenslehrkräfte und Schulsozialarbeitende ins Boot holen, die neutral sind und in der schwierigen Situation unterstützen können.
  • Die Schulleitung ansprechen und Unterstützung suchen
  • Rat einholen bei Beratungsstellen, wie dem Schulpsychologischen Dienst oder der Mobbing-Präventionsstelle der Polizei
  • Eine Mediation zwischen Eltern und Schule vorschlagen, um doch noch eine gemeinsame Lösung zu finden
  • Das Anliegen in den Elternrat der Schule einbringen und Unterstützung gewinnen

Wenn nichts davon weiterführt, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Schulaufsicht einzuschalten, juristische Schritte zu erwägen oder als „Notausgang“ einen Klassen- oder Schulwechsel in Betracht zu ziehen.

Viele Eltern betroffener Kinder sehen sich – oft als letzter Ausweg – gezwungen, die Schule zu wechseln. Inwiefern ist das sinnvoll?

Wenn ein Schüler oder eine Schülerin, die von Mobbing betroffen ist, die Schule verlässt, ist dies aus unserer Sicht immer auch ein Versagen des Systems Schule. Mobbing findet in der Schule statt und kann deshalb auch hier am besten gelöst werden. Wie schon gesagt, ist nach unserem Verständnis Schule dafür verantwortlich, dass Kinder dort einen Rahmen vorfinden, in dem sie gesund bleiben und nicht Gefahr laufen, psychische oder physische Verletzungen davon zu tragen.

Ist allerdings eine Mobbing-Situation lange unbemerkt gewesen, und von solchen Fällen wissen wir, kann es gut sein, dass weder Eltern noch das betroffene Kind Hoffnung haben, dass sich diese Situation noch einmal grundlegend positiv verändern kann. Das Vertrauen ist weg.

In solchen Situationen kann es sehr wohl Sinn machen, die Schule zu wechseln. Anregen würden wir in diesem Fall, sich als Schule bei den Eltern und dem Kind dafür zu entschuldigen, dass die Situation nicht früher erkannt und dementsprechend nicht früher eingegriffen wurde. Dies signalisiert dem Kind wie auch den Eltern, dass es nicht in Ordnung war, was passiert ist und die Schule Mobbing nicht gutheißt.

Lässt sich Mobbing ein für alle Mal auflösen? Wie groß ist eurer Erfahrung nach das Risiko, dass es wiederkommt?

Unsere Erfahrung ist, dass es nur äußerst selten nach einer Intervention mit dem No Blame Approach zur Fortsetzung des Mobbings kommt. In diesen Fällen haben eine erneute Intervention mit dem Ansatz oder andere Maßnahmen weitergeholfen, die die Schulen ergriffen haben.

Die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass in der Schule erneut Mobbing auftritt, ist Teil präventiver Programme. In diesem Bereich kann viel wertvolle Arbeit geleistet werden.

Wenn wir uns Schulen ansehen: Gibt es gewisse Bedingungen, unter denen Mobbing verstärkt auftritt? Was bietet überhaupt den Nährboden dafür?

In der Literatur zum Thema Mobbing ist nachzulesen, dass klare Ursachen für das Entstehen von Mobbing bislang nicht benannt werden können, es jedoch Faktoren gibt, die das Entstehen von Mobbing begünstigen können.

Dazu gehört einmal grundsätzlich das System Schule selbst. Die Schule ist kein Ort, den die SchülerInnen freiwillig aufsuchen, so, wie einen Fußballverein oder den Gitarrenunterricht. Zudem haben die SchülerInnen keinen Einfluss darauf, wer die jeweiligen MitschülerInnen sind oder welche Lehrkräfte sie unterrichten. Die Schule ist ein Pflichtsystem, aus dem keiner der SchülerInnen einfach aussteigen kann. Um nicht missverstanden zu werden, das ist kein Plädoyer für die Abschaffung der Schulplicht, sondern lediglich der Hinweis auf den Rahmen, den die Schule für diejenigen setzt, die sie besuchen.

Weitere begünstigende Faktoren können beispielsweise das Leistungs- und Konkurrenzsystem sein. Mittels der Vergabe von Schulnoten wird festgestellt, ob Schüler und Schülerinnen der Leistung nach eher zu den „Guten“ oder „weniger Guten“ gehören.

In diesem Gefüge suchen Schüler und Schülerinnen ihre Position, bestimmen ihren Status, wollen möglichst bei den Coolen, Starken und positiv Angesehenen mitwirken.

Ein oft genannter Faktor ist ein ungutes Klassen- und Schulklima. Ist die Schüler-Lehrerbeziehung statt von Vertrauen und emotionaler Sicherheit eher von Misstrauen und Unsicherheit geprägt, stellt dies einen Rahmen dar, der ebenso die Entwicklung von Mobbing begünstigt. Lehrpersonen werden nicht als unterstützend wahrgenommen, genießen wenig oder kein Vertrauen und auch die MitschülerInnen zeigen sich selten bereit, in schwierigen Situationen anderen zu helfen.

All die genannten Faktoren fördern die Entstehung eines Mobbing-Systems, in dem es darum geht, sich einen guten und möglichst angesehenen Platz in der Gruppe zu „erarbeiten“ – wenn auch mit unfairen Mitteln.

Wir gehen davon aus, dass sich Mobbing-Situationen im Rahmen von Schule immer wieder entwickeln können und werden. Daher ist es aus unserer Sicht auch so wichtig, dass Schulen auf diese Situationen vorbereitet sind, d.h. über geeignete Wege und Handwerkszeuge verfügen, solchen Situationen zu begegnen.

Wir hören oft den Vorwurf, dass „der Fisch doch vom Kopf her stinkt und die Kinder wohl nicht mobben würden, wenn die Lehrpersonen einen besseren Umgang mit den Kindern hätten…“. Inwiefern hat Mobbing etwas mit der Klassenführung zu tun?

Wie gesagt, spielen unterschiedliche Faktoren bei der Entstehung von Mobbing eine Rolle, u.a. die Struktur von Schule an sich, das Klassen- und Schulklima und auch die Beziehung zwischen Lehrkräften und ihren Schülern und Schülerinnen. Einer einzelnen Lehrkraft die alleinige Verantwortung für Mobbing in ihrer Klasse zuzuschreiben wäre deshalb in jedem Fall zu kurz gegriffen. Sagen lässt sich aber, dass Lehrkräfte sich nicht verleiten lassen sollten, vor der Klasse ein Kind öffentlich herabzuwürdigen oder abwertend zu tadeln.

Anstelle der Fragestellung, inwiefern der „Fisch vom Kopf stinkt“, d.h. die Schuldfrage in Bezug auf die Lehrkraft zu stellen, finden wir es hilfreicher zu fragen: „Was trägt dazu bei, dass das Miteinander in der Schule gelingt? Wie schaffen wir es, eine gute Lernatmosphäre herzustellen? Was ist zu tun, damit die Schülerinnen und Schüler in unserer Schule gesund bleiben?“

Auch fördern in der Klasse implementierte Konfliktregelungssysteme und Besprechungsverfahren wie der Klassenrat die Kompetenz von SchülerInnen, Schwierigkeiten und Probleme in der Klasse selbstbestimmt und konstruktiv zu regeln.

Klassenprojekte für ein gutes Miteinander oder auch zur Thematisierung von Ausgrenzung, Mobbing und Cyber-Mobbing sind darüber hinaus hilfreich, um SchülerInnen wie Lehrkräfte für die Thematik zu sensibilisieren.

Sagt mal, wie habt ihr den No Blame Approach eigentlich kennengelernt?

Ja, das ist eine spannende Frage. Wir betrachten es immer noch als eine Art Wunder und Geschenk, dass gerade wir zu einem richtigen Zeitpunkt mit dem No Blame Approach in Kontakt gekommen sind, den No Blame Approach in den letzten 20 Jahren weiterentwickeln durften, dafür finanzielle Unterstützung seitens einer Stiftung erhalten haben, und er dann auch noch so überaus zahlreich von schulischen und außerschulischen Einrichtungen aufgegriffen wurde. Die Erfahrungen, die mit dem Ansatz gemacht werden, sind bis heute sehr, sehr positiv.

Aber du hast ja gefragt, wie wir ihn kennengelernt haben. Das war Anfang 2000. Wir haben selbst viel mit mediativen Handwerkzeugen gearbeitet, so auch zur Bewältigung vielfältiger Konfliktlagen im pädagogischen Bereich. Im Rahmen eines kommunalen Projekts haben wir pädagogische Kräfte im konstruktiven Umgang mit Konflikten in 10-tägigen Fortbildungen geschult. Immer wieder kam die Frage nach Mobbing auf, die wir zunächst damit beantwortet haben, dass solche Situationen ja auch mit Mediation gelöst werden könnten.

Da wir selbst allerdings auch nicht 100 Prozent überzeugt waren, sind wir auf die Suche nach SpezialistInnen gegangen und haben Horst Kaspar, ehemaliger Schulleiter, der auch mit Professor Leymann zusammengearbeitet hat, angeschrieben, ob er im Rahmen unserer Fortbildung einen Vortrag zum Thema Mobbing in der Schule halten könnte. Zu unserem Bedauern teilte er uns mit, dass er inzwischen im Ruhestand ist, machte uns aber auf einen spannenden Ansatz aufmerksam, mit dem Christopher Szaday gerade in der Schweiz unterwegs war. Das war der No Blame Approach. Wir haben Chris damals umgehend zu uns eingeladen. Er hat uns den No Blame Approach in einer 1 ½-stündigen Sequenz vorgestellt. Die Lehrkräfte waren sofort begeistert und wir haben Anfragen bekommen, doch etwas Längeres dazu zu machen. Das haben wir getan, nachdem wir uns mit den originären EntwicklerInnen in England, Babara Maines und Georg Robinson, in Verbindung gesetzt hatten. Und danach begann die überaus erfolgreiche Arbeit mit dem Ansatz, die bis heute andauert.

Was hat euch, Heike und Detlef, dazu gebracht, euch beruflich so intensiv mit dem Thema Mobbing / Konfliktlösung zu beschäftigen?

Eigentlich hat es sich einfach so ergeben, als folgerichtige Entwicklung unserer Arbeit zum „guten Umgang mit Konflikten“. Es ist ein Zusammentreffen unserer mediativen Arbeit mit der gleichzeitigen Suche nach wirksamen und umsetzbaren Ansätzen im Umgang mit Mobbing in der Schule.

Gibt es Situation, über die ihr euch in diesem Rahmen einmal sehr gefreut habt?

Ja, das lässt sich leicht beantworten. Seit letztem Jahr arbeiten wir in Kooperation mit dem Projekt LOVE-Storm zum Thema „Digitale Zivilcourage und Sensibilisierung für Hass und Cyber-Mobbing im Internet“. Dazu bieten wir 1-tägige MultiplikatorInnen-Workshops an, in denen mit Kindern und Jugendlichen arbeitende pädagogische Fachkräfte mittels eines Online-Lerntools Strategien der Gegenrede erproben und erlernen können, um Hass im Netz etwas entgegenzusetzen. Als ausgebildete MultiplikatorInnen erhalten sie im Anschluss an den Workshop den Zugang, dieses Tool auch für das Training mit den eigenen Zielgruppen zu nutzen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Hier hören wir zu unserer Überraschung in den Workshops sehr viel Zuspruch für den No Blame Approach. Viele unserer LOVE-Storm-TeilnehmerInnen kennen den No Blame Approach und arbeiten erfolgreich mit dem Ansatz. Sie berichten uns reihenweise von gelungenen Beispielen. Das freut uns natürlich sehr, wenn die Teilnehmenden sagen, dass sie gute Erfahrungen mit dem No Blame Approach machen, dass sie da sind, weil sie uns einmal persönlich kennenlernen wollten und sie gespannt sind, durch uns ein neues Handwerkzeug zur Sensibilisierung für Hass und Mobbing im Internet kennenzulernen. Es ist einfach schön zu erleben, dass die jahrelange Arbeit zum Thema Mobbing in der Schule angenommen wird und bis heute viel Zustimmung seitens der Lehrkräfte und Schulsozialarbeitenden erfährt. Dafür sind wir dankbar.

Was war das schönste, was das schwierigste Erlebnis in eurer bisherigen Arbeit?

Wir fangen mit dem Unschönen an, da wir lieber mit dem Schönen enden wollen. Sehr unschön erleben wir derzeit Personen, die die Vorgehensweise mit dem No Blame Approach aus unserer Sicht unsachlich kritisieren, herabwürdigen und gerade zu „verteufeln“. Es wird uns vorgeworfen, die von Mobbing betroffenen Kinder zu manipulieren, ihnen im Rahmen des Vorgehens Gewalt anzutun, ihnen Mitspracherechte zu verweigern und sie durch den No Blame Approach zu „viktimisieren“. Auf der anderen Seite erhalten wir heftige Vorwürfe, die AkteurInnen des Mobbings in ihrer Rolle zu stärken und zu „verherrlichen“.

Zielscheibe dieser kritischen Äußerungen durch die gleichen Personen wurde ebenfalls der wunderschöne, kleine Film, den die Akademie für Lerncoaching über den No Blame Approach in Form einer Tiergeschichte gedreht hat.

Auch wenn es in den Bereich der Meinungsfreiheit fällt, finden wir die gewählte Form der geäußerten Kritik doch sehr unschön. Schade, dass dies so passiert.

Besonders schön ist es dagegen immer wieder zu erleben, dass die Arbeit mit dem No Blame Approach in den allermeisten Fällen zu guten Ergebnissen führt. Es ist für uns bereichernd von Anwendern und Anwenderinnen zu hören, dass sogar „die schweren Kaliber“ bereit waren, an der Lösung mitzuwirken. Bis heute berichten Lehrkräfte, dass sie niemals geglaubt hätten, dass Schüler X oder Schülerin Y sich so unterstützend verhalten würde. Diese Erfahrungen und Rückmeldungen bestärken uns darin, dass es sich lohnt, lösungs- und zukunftsorientierte Wege zu wagen und zu gehen.

Nicht wenige halten den No Blame Approach für die wirksamste Vorgehensweise, um Mobbing in der Schule zu stoppen. Dies schmälert nicht die Wirksamkeit anderer, ebenso erfolgreicher Ansätze im Umgang mit der Problematik, aber bestätigt uns in unserer Haltung Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gegenüber, dass es Sinn macht, sie für gute und verantwortungsvolle Lösungswege zu gewinnen.

Aktuell: Zweitagesweiterbildung zum No Blame Approach mit Detlef Beck in Zürich