Gespräche brauchen Zeit

Die Erfahrung, dass sich jemand Zeit für uns nimmt, sich auf uns einlässt und uns zuhört, ist bedeutsam für unser Selbstwertgefühl – und leider viel zu selten.

Wenn wir Kindern, Jugendlichen oder unserem Partner/ unserer Partnerin zuhören wollen, müssen wir aktiv Raum dafür schaffen.

Gespräche benötigen Zeit. Der übliche Alltagskram lässt sich zwischen Tür und Angel besprechen, aber wirklich kennenlernen können wir uns dadurch nicht. Manchmal bemerken wir gar nicht, wie oberflächlich die Kommunikation innerhalb der Familie geworden ist, wie wenig wir einander kennen. Die Floskel „Wir haben uns auseinandergelebt“ bedeutet häufig: Wir haben uns jahrelang nicht mehr richtig zugehört. Unsere Kinder, der Partner oder die Partnerin, entwickeln sich weiter. Wenn wir nicht über uns reden, uns nicht mehr aufeinander einlassen, dann kann es sein, dass eines Tages Fremde in unserem Haus wohnen.

Welche Gespräche sich entwickeln und welche Tiefe diese erreichen, hängt vom Zeitraum ab, den wir dem Gespräch einräumen.Aktives Zuhören - wichtig für das Selbstwertgefühl

Wenn wir uns mit einer Freundin zum Essen treffen und wissen, dass wir zwei Stunden Zeit haben – und in dieser Zeit auch nichts anderes tun können – wählen wir automatisch Themen, die diesem Zeitraum angemessen sind. Wir sprechen über unsere Beziehung, unsere Arbeit, Schwierigkeiten, Trauriges und Schönes – und kommen uns näher.

Innerhalb der Familie haben wir jedoch oft das Gefühl, dass entweder der Zeitraum zu kurz ist oder die Situation nicht passt, um sich wirklich aufeinander einzulassen. Oft scheint etwas anderes wichtiger oder dringender zu sein – oder man hat sich mit so viel Wichtigem und Dringendem befasst, dass keine Energie mehr bleibt:

  • „Nicht jetzt, wir müssen los!“
  • „Ja gleich, ich muss nur noch die Küche aufräumen!“
  • „Papa ist zu müde.“
  • „Kann das nicht warten? Ich muss noch diesen Bericht fertig schreiben.“
  • „Du, ich bin gerade etwas unter Druck…“
  • „Ich mache das noch fertig, dann können wir reden…“

Oft sehen wir schon von weitem, dass der andere zu müde, zu beschäftigt, zu gestresst ist oder sich einfach nur noch vor die Glotze hauen und sich entspannen möchte. Wir machen gar nicht mehr den Versuch, über ein „zeitraubendes“ Thema zu sprechen und begnügen uns mit einem „Wie war dein Tag?“ und einer entsprechend kurzen und immer gleichen Antwort.

Weil wir uns aber jeden Tag sehen, haben wir nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Wir stellen mit Erschrecken fest, dass wir unsere beste Freundin seit drei Monaten nicht mehr gesehen haben und nicht mehr „up to date“ sind. Innerhalb der Familie fällt uns dies oft nicht auf. Weil wir uns ständig sehen, bemerken wir nicht, dass wir den Kontakt zueinander verlieren.

Ich (Fabian) habe diese Erfahrung in den letzten drei Monaten selbst gemacht. Mit der Geburt unseres zweiten Kindes hat sich die Kommunikation zwischen mir und meiner Frau aus mehreren Gründen stark verändert:

  1. Wir haben insgesamt weniger Zeit für uns. Oft wird der Alltag um die Kinder herum organisiert.
  2. Wir sind müde – und daher insbesondere am Abend, wenn die Kinder im Bett sind, nicht mehr zu Gesprächen aufgelegt.
  3. Wir sehen uns noch immer mehrere Stunden pro Tag, aber wir sind nicht alleine. Die Gespräche werden dauernd durch eines der Kinder unterbrochen. Der Wunsch, etwas mitzuteilen, verschwindet spätestens nach dem fünften Unterbuch.

Wenn Sie sich die Frage stellen, wann Sie die letzten, guten Gespräche mit Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin oder einem Ihrer Kinder hatten, werden Sie sehen, dass Sie in diesen Situationen meist zu zweit waren. Am Familientisch wird vielleicht debattiert und diskutiert – aber Gespräche, in denen wir unser Innenleben preisgeben, entwickeln sich fast immer unter vier Augen.

Wenn wir unsere Kinder und unseren Partner/ unsere Partnerin wieder besser kennenlernen möchten, benötigen wir nicht nur Zeit, wir benötigen Zeit zu zweit.

Zeit zu zweit

Wenn wir Eltern vorschlagen, Zeit alleine mit dem Partner oder den Kindern zu verbringen, erhalten wir fast immer die Antwort, dass sie diese Zeit nicht haben. Vielleicht helfen Ihnen die folgenden Vorschläge dabei, diese Zeit zu finden:

Zeit zu zweit in den Alltag einbauen

Meine Frau und ich haben uns in den letzten drei Wochen das folgende Ritual angewöhnt: Wenn beide Kinder müde sind, packen wir sie in den Buggy bzw. den Kinderwagen und machen einen längeren Spaziergang. Es war schon immer so, dass wir beim Gehen leichter ins Gespräch kamen als im Sitzen – und im Moment schläft unsere Kleine beim Gehen ein und der ältere schaut sich, wenn er müde ist, die Landschaft an oder döst vor sich hin.

Kurze Momente zu zweit in den Alltag einstreuen

Bereits kleine Kinder geniessen Zeit zu zweit. Mein Sohn, 2,5 Jahre, geht gerne mit mir auf den Spielplatz. Davor möchte er aber ins Café. Ich trinke einen Kaffee, er ein Glas Wasser – und dabei erzählt er mir alles, was ihm gerade einfällt und was sein Wortschatz hergibt. Ein schöner Nebeneffekt: Nach dieser Zeit bin ich deutlich weniger interessant und er spielt auf dem Spielplatz mit den anderen Kindern im Sandkasten und lässt mich auf der Bank mein Buch lesen.

Ein gemeinsames Essen pro Woche geniessen

Erziehungs- und Elternratgeber geben oft den Rat, sich als Paar immer mal wieder einen Babysitter zu leisten, um gemeinsam essen oder ins Kino zu gehen. Ein guter Tipp! Ich frage mich, ob sich das gleiche Prinzip nicht auch verwenden liesse, um mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Ich fände es schön, später einmal pro Woche auswärts essen zu gehen: Zweimal pro Monat mit meiner Frau und je einmal mit meinem Sohn und meiner Tochter. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dabei ganz andere Gespräche entwickeln als am Familientisch.

Sich aufteilen für den Familienausflug

Anstatt am Sonntag mit der ganzen Familie einen Ausflug zu starten, könnte ab und zu zu zweit etwas unternommen werden. Ein Vater von vier Kindern erzählte mir, dass er und seine Frau sich so organisieren, dass sie viermal pro Jahr mit jedem Kind einen Tag alleine etwas unternehmen können. Manchmal geht ein Elternteil mit einem Kind auf eine Wanderung, während die anderen drei Kinder mit dem anderen Elternteil in den Zoo gehen. Manchmal treffen sich zwei der vier Kinder am Wochenende mit Freunden und die Eltern machen mit jeweils einem Kind einen Ausflug. Der Vater erzählte mir, dass gerade diese Zeit zu zweit sie als Familie zusammenschweisst und für viele schöne, intensive Momente mit den Kindern sorgt.

Einen Kurzurlaub zu zweit wagen

Ein Vater aus meinem Bekanntenkreis verreist einmal pro Jahr für drei Tage mit seiner mittlerweile fünfzehnjährigen Tochter in den Urlaub. Ich kann mir vorstellen, dass er in diesen drei Tagen mehr von ihrem Leben erfährt als viele andere Väter in einem ganzen Jahr.

Sobald man eine Familie ist gilt: Zeit zu zweit hat man nicht, man muss sie sich nehmen – aktiv, bewusst und immer wieder. Wo gelingt Ihnen das bereits? Wo und mit welchem Familienmitglied liesse es sich ausbauen?

Weitere Tipps zum Thema „Zuhören“ erhalten Sie in unserem Film mit dem kleinen Biber:

Das gesammelte Wissen unseres Teams zur Frage, was Kinder stark macht, geben wir in kompakter Form in unseren Elternseminaren und Tagesweiterbildungen weiter.