Klassenregeln üben
Mit Regeln wollen wir bei uns selbst oder anderen eine Verhaltensänderung bewirken. Ein Kind soll beispielsweise früher aufstehen, um pünktlich zu sein. Oder es soll die Lösung nicht einfach in die Klasse rufen, sondern aufstrecken und warten bis es aufgerufen wird.
Oft ist uns bei Regeln, die wir selbst beherrschen, nicht bewusst, wie schwierig diese einzuhalten sind.
Wir bemerken dies jedoch sofort, wenn wir uns selbst eine neue Regel auferlegen. Eine Lehrerin meinte zu mir: „Ich weiss, dass es mir wahnsinnig gut tun würde, wenn ich am morgen 10 Minuten meine Yoga-Übungen mache. Ich habe mir diesen Vorsatz aufgeschrieben und jeden morgen erinnert mich der Wecker daran. Aber irgendwie schaffe ich es, das alles zu ignorieren.“ Eine andere meinte: „Ich habe mir die Regeln auferlegt, dass ich zwischen Frühstück und Mittagessen nur Früchte als Snack essen werde. Spätestens um 10 Uhr habe ich Schokolade im Mund. Es ist einfach nur lächerlich.“ Wenn wir ehrlich sind, kennen wir alle solche Situationen.
Noch schwieriger ist es, wenn wir Regeln befolgen sollen, die wir nicht selbst gewählt haben. Manchmal sagen mir Lehrpersonen: „Ich sehe nicht ein, weshalb ich solche Regeln besprechen und üben sollte. Es sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass man zuhört und ruhig ist, wenn jemand spricht!“ Wie schwierig das tatsächlich ist, merken Sie, wenn Sie bei der nächsten Lehrerweiterbildung Ihre Kolleginnen und Kollegen beobachten. Lehrpersonen haben grösste Mühe mit dem Einhalten dieser Regel. Falls Sie jetzt einwenden, dass die letzte Weiterbildung, an der es unruhig war, nicht besonders spannend war, möchte ich folgendes erwidern: Wir erwarten von Schülern, dass sie sich an die Regel „Wenn die Lehrperson erklärt, bin ich ruhig“ halten und nicht an die Regel „Falls mich die Erklärungen der Lehrperson interessieren, bin ich ruhig“.
Sie sehen: Es ist alles andere als einfach oder selbstverständlich, dass wir uns an Regeln halten. Es gibt aber einiges, das Sie tun können, damit dies den Schüler/innen leichter fällt.
Sorgen Sie für einen guten Start
Haben Sie ein Kind in der Klasse, von dem Sie bereits wissen, dass es Mühe hat, sich an Regeln zu halten? Der Schulpsychologe Christoph Eichhorn empfiehlt, dieses Kind bei der Einführung der Regel um Hilfe zu bitten. Zum Beispiel so: „Du, ich möchte morgen die Regel …. üben. Mir ist aufgefallen, dass du schauspielerisches Talent hast. Wärst du bereit, mir zu helfen?… Es wäre toll, wenn wir der Klasse zeigen könnten, wie es aussieht, wenn man sich an die Regel hält bzw. wenn man sich nicht daran hält. …Wollen wir das kurz üben?“
Dieses Vorgehen ist ziemlich geschickt: Sie sorgen aktiv dafür, dass dieses Kind Gelegenheit hat, eine positive Beziehung zu Ihnen und zur Regeln aufzubauen und eine Extra-Portion Übung erhält.
Allgemein gilt: Achten Sie darauf, dass die ersten Erfahrungen mit neuen Abmachungen nicht negativ sind! Eine Möglichkeit dazu bietet das gezielte Training einzelner Regeln.
Eins nach dem anderen
Üben Sie jeweils nur eine Regel mit den Schüler/innen, bis es der Klasse gut gelingt, sich daran zu halten.
Am besten beginnen Sie – wie der Herr Dachs in unserem Film (Sie finden diesen am Ende dieser Seite) – mit dem Ruhe-Signal. Jede Lehrperson sollte eine Möglichkeit haben, dafür zu sorgen, dass die Schüler/innen sofort zuhören. Schonen Sie Ihre Stimmbänder und nutzen Sie dafür beispielsweise eine Glocke. Üben Sie den Ablauf „Wenn ich mit der Glocke läute, verschränkt ihr sofort die Arme vor der Brust und seid still“ einige Mal, bis es rasch und gut klappt. Variieren Sie dann die Übung: Lassen Sie die Schüler/innen in Einzelarbeit schreiben, in Partnerarbeit etwas diskutieren etc. und läuten Sie jeweils nach ein paar Minuten die Glocke.
Sie können der Klasse durch Rückmeldungen Anerkennung ausdrücken und sie dazu anspornen, noch besser zu werden:
- „Das war schon gut – aber ihr könnt das noch schneller!“
Beim Training lässt sich oft beobachten, dass viele Schüler/innen Freude und Ehrgeiz beim Einhalten der Regeln entwickeln. Viele Kinder vermissen heute eine liebevolle aber klare Führung. Aus diesem Grund mögen und respektieren sie Lehrpersonen oder Sport-Trainer besonders, die einerseits eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen und auf der anderen Seite hohe Erwartungen haben und zum Beispiel grossen Wert darauf legen, dass jeder pünktlich erscheint, sich anstrengt und sich fair verhält. Kinder möchten Lehrpersonen, die sie respektieren können, die ihnen Sicherheit und Halt bieten und wissen, wo sie stehen und was sie erwarten.
Je besser Sie die Regel üben, desto leichter gelingt es den Schüler/innen, sich daran zu halten – und desto weniger müssen Sie sie ermahnen und bestrafen.
Zeigen Sie der Klasse und einzelnen Schülern regelmässig Anerkennung für das Einhalten der Regeln
„Ihr seid schon wieder zu spät!“, „Müsst ihr immer Quatschen?“ manche Klassen hören von Ihren Lehrpersonen ständig nur Ermahnungen. Mit der Zeit blenden die Schüler/innen dieses „lästige Genörgel“ einfach aus. Besonders Lehrpersonen, die das Einhalten von Regeln als Selbstverständlichkeit empfinden, tappen in die Nörgel-Falle.
Es hilft, wenn Sie sich bewusst machen, wie schwierig es zum Beispiel ist, zuzuhören, wenn der Stoff komplett an den eigenen Interessen vorbeigeht. Auf diese Weise schätzen Sie es mehr, dass Schüler/innen sich trotzdem bemühen und können dies zum Ausdruck bringen:
- „Hey, ihr seid heute alle pünktlich – das freut mich.“
- „So, heute waren wir richtig produktiv – danke für die gute Mitarbeit.“
- „Super, Samira und Jonas sind heute turboschnell und schon zurück an ihrem Platz…“
Anerkennung in dieser Form ist eine gute Möglichkeit, die Schüler/innen an die Regel zu erinnern und sie darauf hinzuweisen, dass Sie auf deren Einhaltung weiterhin achten. Gleichzeitig gelingt es Ihnen auf diese Weise, für gute Gefühle zu sorgen und eine gute Beziehung zur Klasse aufzubauen.
Bleiben Sie beharrlich
Kinder müssen immer wieder an Regeln erinnert werden. Sie werden Sie und die Regeln insbesondere dann respektieren, wenn Sie beharrlich bleiben und immer wieder deutlich machen: Das ist mir wichtig. Ich gebe nicht nach.
Kommt ein Kind in die Klasse ohne Sie zu grüssen, könnten Sie beispielsweise sagen: „Sven, wenn wir reinkommen, grüssen wir einander.“ Jetzt ernten Sie vielleicht ein „hmpf“ oder ein knappes „ja“. Nun können Sie sagen: „Geh gleich nochmal raus und komm nochmal rein.“ Warten Sie ab, bis der Schüler reinkommt und Sie grüsst. Das mag lästig erscheinen, aber es ist wirksamer als Strafen, weil die Schüler/innen mit der Zeit anfangen, Sie ernst zu nehmen. Gleichzeitig wird – im Gegensatz zu Ermahnungen und Strafen – die Beziehung nicht belastet.
Besonders für abstrakte Regeln wie „wir sind freundlich zueinander“ gilt: Diese müssen beharrlich verfolgt werden, damit sie eine positive Wirkung entfalten können. Es ist schön und gut, wenn bei der Einführung dieser Regel Beispiele für freundliches Verhalten gesammelt werden. Aber nur, weil einmalig die Regel formuliert und ein Plakat mit Beispielen aufgehängt wurde, wird dadurch noch lange nicht das Verhalten der Schüler/innen im Alltag verändert. Man ernährt sich auch nicht gesünder, wenn man an Neujahr ein Plakat mit der Regel „Ernähre dich gesund!“ aufhängt und darauf einige Beispiele notiert.
Was Kinder inspiriert, sich an solche Regeln zu halten, sind lebendige Beispiele. So könnten Sie zum Beispiel jeweils an einem Tag in der Woche drei Schüler/innen von einer Freundlichkeit berichten lassen, die sie durch jemanden der Klasse erfahren haben. Zum Beispiel:
- „Ich habe gestern, als wir diese Pyramiden-Rechnungen machen musste, nicht verstanden, wie es geht. Dann hat Simon zu mir rübergesehen und mich gefragt, ob er es mir erklären soll. Er kann total gut erklären und ich war froh, dass ich dann wusste, was ich machen muss.“
- „Tim hat mich gestern in der Pause beim Fussball als einen der ersten in seine Mannschaft gewählt – obwohl ich nicht gut Fussball spielen kann!
- „Mir ging es gestern nicht gut und dann haben Sie mich beim Reinkommen gefragt, was denn los ist. Da ging es mir schon ein wenig besser.“
Natürlich können auch Sie das eine oder andere Beispiel einstreuen, das Sie beobachtet oder selbst erlebt haben. Die Beispiele festigen die Beziehungen der Schüler/innen untereinander, richten die Aufmerksamkeit auf prosoziales Verhalten und dienen der Klasse wiederum als Ideenpool und Anregung.
Formulieren Sie knapp und klar, was Sie erwarten
„Roger, hör auf zu quatschen!“ – solche Ermahnungen können Sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Schüler/innen können Sie ziemlich leicht in Bedrängnis bringen, wenn sie daraufhin anfangen zu diskutieren. Sie wissen, was ich meine: „Ich habe nur etwas erklärt!“, „Sabrina hat auch geschwatzt!“
Darauf können Sie kaum richtig reagieren. Sie könnten sagen: „Sabrina, du auch – seid jetzt beide ruhig!“ Damit hat Roger erfolgreich von sich abgelenkt. Vielleicht fangen Sabrina und Roger nun sogar an zu streiten: „Blöde Petze!“
Vielleicht sagen Sie auch: „Ich rede mit dir!“. Darauf wird Roger erwidern können: „Immer ich! Sie sind so fies!“
Eine kurze, positiv formulierte Anweisung macht es Ihnen leichter: „Roger, ich möchte, dass du zuhörst.“ Auf sein „Ich habe nur etwas erklärt!“ können Sie nun sagen: „Ja, und ich möchte, dass du jetzt wieder zuhörst.“
Positive formulierte Anweisungen machen es dem Schüler leichter, sich danach zu richten. Schüler/innen fühlen sich durch solche Anweisungen weniger angegriffen. Gleichzeitig können Sie die Klasse auf diese Weise an die Regel erinnern und rasch zum eigentlichen Unterricht zurückkehren.
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