Verlieren können: Eine Kompetenz!
„Wollen Sie mal sehen, wie cool ich bleibe, wenn ich gegen Fabian im Schach verliere? Der hat gestaunt! Ich muss aber zugeben: So leicht fiel mir das nicht immer. Ganz im Gegenteil! Ich war eine ziemliche Drama-Queen, wenn ich einen Misserfolg einstecken musste oder bei einem Spiel verlor. Vielleicht möchte Ihr Kind auch gerne wissen, wie man lernt, so cool zu bleiben?“
In 4 Schritten zum Misserfolgsprofi
Nicht verlieren zu können ist für manche Kinder mit viel Stress verbunden. Sie:
- erleben starke unangenehme Gefühle, wenn sie ein Spiel verlieren
- fühlen sich unverstanden, wenn sie von Eltern und Lehrpersonen wegen ihres Verhaltens zurechtgewiesen werden
- werden beim Spiel oder Sport von anderen Kindern wegen ihrer unbeherrschten Ausbrüche ausgeschlossen
- wollen sich manchmal gar nicht mehr auf Spiele oder Sport einlassen
Trösten („Das ist doch nicht so schlimm! Jeder verliert mal!“) oder moralisierende Zurechtweisungen („Du musst auch mal verlieren können!“) helfen Kindern meist nicht weiter. Sie fühlen sich unverstanden oder geraten nur noch mehr unter Druck.
Sie immer gewinnen zu lassen ist auch keine Lösung.
Kinder können jedoch lernen, mit Misserfolgen und dem Verlieren umzugehen, wenn sie motiviert sind und wissen, wie sie ihre Gefühle regulieren können. Im Film werden dazu die folgenden vier Schritte vorgestellt:
Misserfolgstraining Schritt 1: Vorteile erarbeiten
Im ersten Schritt wird mit dem Kind erarbeitet, warum es nützlich wäre, besser verlieren oder mit Misserfolgen umgehen zu können. Dieser Schritt ist wichtig für die Motivation des Kindes und die Grundlage für das weitere Vorgehen.
Tatsächlich hat es viele Vorteile, wenn man Rückschläge aushält und beim Spiel verlieren kann.
Für einige Kinder sind die sozialen Aspekte sehr wichtig:
- „Meine Freunde würden lieber mit mir spielen.“
- „Meine Klassenkameraden würden mich wieder in ihre Mannschaft wählen, wenn ich nicht mehr so ausflippe, wenn jemand aus meiner Mannschaft einen Fehler macht!“
- „Es wäre schöner für mich und für die Anderen, wenn ich fair verlieren könnte.“
Für andere stehen die eigenen Gefühle im Vordergrund:
- „Ich wäre nicht mehr so wütend und enttäuscht, wenn ich verliere.“
- „Es ist mir total peinlich, wenn ich weinen muss, wenn ich verliere – das möchte ich nicht mehr!“
- „Spiele und Sport würden mir wieder Spass machen.“
Für die besonders ehrgeizigen Kinder ist es anspornend, ein anspruchsvolles Ziel zu erreichen oder sich in Spiel und Sport zu verbessern. Ein Satz wie „Richtig gut verlieren zu können ist etwas ganz Schwieriges. Das können nicht viele!“ ist nicht nur wahr, sondern auch motivierend. Wichtige Vorteile für kleine Ehrgeizlinge sind:
- „Wenn ich mich sofort auf den nächsten Ball oder auf das nächste Spiel konzentrieren kann, werde ich noch besser!“
- „Roger Federer (oder ein anderes Vorbild) zeigt auch Grösse, wenn er verliert!“
Misserfolgstraining Schritt 2: Vorbilder suchen und Gedanken erarbeiten
Wie ein Kind einen Misserfolg erlebt, hängt davon ab, wie es diesen interpretiert. Besonders negativ wird dieser empfunden, wenn dem Kind Gedanken der folgenden Art durch den Kopf schiessen:
- „Ich bin so ein Versager!“
- „Ich muss gewinnen!“
- „Die wollen mich fertigmachen!“
Kinder, die wütend auf andere werden, wenn sie verlieren, gehen davon aus, dass andere ihnen absichtlich schaden wollen. Kinder, die anfangen zu weinen, sehen die Niederlage als herben Verlust – sie gehen vielleicht davon aus, dass sie nichts wert sind, wenn sie verlieren. Manche Kinder sehen wichtige Ziele gefährdet. Sie eifern einem Vorbild nach und werten Niederlagen als Beweis, dass sie es nicht schaffen werden, ihre Ziele zu erreichen.
Wir arbeiten gerne mit Vorbildern. Dabei vermitteln wir Kindern, dass Rückschläge und Niederlagen unumgänglich sind. Egal wie gut du bist: Du wirst immer wieder Niederlagen erleben. Messi schiesst daneben, Neuer kassiert Tore, Federer schlägt Bälle ins Aus. Die Besten verlieren regelmässig. Und die Niederlagen werden nicht einfacher, wenn man erfolgreicher ist. Im Fussball gegen das Nachbardorf zu verlieren mag unangenehm sein. Als brasilianischer Nationalspieler nach dem 0:7 gegen Deutschland vom Platz laufen zu müssen ist der blanke Horror. Das heissst: Je besser du spielst, desto besser musst du darin werden Misserfolge wegzustecken.
Je mehr Kinder sehen, dass auch ihre Idole Misserfolge erleben, mit diesen aber gut umgehen können, desto mehr werden diese nicht nur zu Vorbildern für ihr Können, sondern auch für die Bewältigung von Schwierigkeiten (Hinweis: Zinedine Zidane bietet sich hier als Vorbild weniger gut an…).
Gemeinsam mit dem Kind wir nun überlegt, wie das Idol oder Vorbild mit schwierigen Situationen umgehen könnte und was es evtl. zu sich selbst sagt, wenn es auf Schwierigkeiten stösst oder Rückschläge verkraften muss.
Die hilfreichen Sätze werden auf Poster oder Fotos der Vorbilder geschrieben und an einem günstigen Ort gut sichtbar aufgehängt. Ein Kind wurde beispielsweise sofort wütend, wenn ihm beim Geigenspielen ein Stück Mühe bereitete. Sie war Fan der Youtube-Geigerin Lindsey Stirling und wollte eines Tages ebenso gut spielen können. Auf die Frage der Mutter: „Was meinst du, hat Lindsey beim Üben auch immer gleich die Geduld verloren?“ antwortete die Tochter mit einem entschiedenen „Nein!“ und entwickelte zusammen mit der Mutter hilfreiche Gedanken wie:
- „Das ist ein schwieriges Stück – ich bleibe ruhig und lasse mir Zeit.“
- „Wenn es nicht klappt, lege ich die Geige weg, höre etwas Musik und versuche es nochmals.“
Poster von Lindsey Stirling mit den hilfreichen Sprüchen wurden hinter dem Notenständer angebracht, damit das Kind bei jedem Geigenspiel sein Vorbild mit den hilfreichen Gedanken sah.
Schritt 3: Üben, üben, üben
Nur weil ein Kind einmalig anders über Sieg und Niederlage, über Misserfolge und Rückschläge nachgedacht hat, wird es sich in dieser schwierigen Situation noch nicht bedeutend anders fühlen.
In der Übungsphase wird deshalb ganz bewusst das Verlieren geübt.
Dabei ist es hilfreich, wenn man das Kind an das Ziel erinnert:
„Komm, wir spielen Fussball. Wollen wir dabei das Verlieren üben?“
Lässt sich das Kind auf die Übung ein und kassiert ein Tor oder verliert eine Figur bei einem Brettspiel, wird es versuchen, sich zu beherrschen oder fair zu bleiben. Diese Bemühungen sollten gesehen werden. Als Eltern können Sie:
- das Kind fragen, wie es so cool bleiben konnte.
- hervorheben, wie viel schöner für Sie das gemeinsame Spiel ist, wenn das Kind Ihnen auch einen Punkt oder den Sieg gönnt.
- dem Kind verdeutlichen, dass es sich so tatsächlich besser auf das Spiel konzentrieren kann.
- das Kind loben, indem Sie etwas sagen wie: „Hey, echt Federer-mässig, wie du die Niederlage weggesteckt hast :-)“
Schritt 4: Den Schwierigkeitsgrad langsam steigern
Nicht in jeder Situation ist es für Kinder gleich schlimm zu verlieren. Vielleicht ist es für Ihren Sohn leichter, gegen Sie zu verlieren als gegen die Schwester? Oder bei einem Fussballspiel im Garten als beim Turnier? Üben Sie zuerst die einfachere Situation, bis Ihr Kind diese gut bewältigen kann. Steigern Sie dann den Schwierigkeitsgrad, indem Sie beispielsweise mit der ganzen Familie spielen oder Ihrem Kind ein Spiel vorschlagen, wenn seine Freunde zu Besuch sind.
Verlieren zu können stärkt das Selbstvertrauen und schützt das Selbstwertgefühl
Kinder mit einem gesunden Selbstvertrauen trauen sich etwas zu. Sie sind zuversichtlich und glauben, Herausforderungen meistern zu können. Sie wissen aber auch, dass ihnen nicht immer alles gelingen wird und Misserfolge, Fehler, Rückschläge und das Verlieren Teil des Lebens und des Lernprozesses sind.
Sind Kinder unsicher, benötigen sie nicht noch einen Erwachsenen, der ihnen mit „Du schaffst das!“-Parolen „Mut“ macht.
Um echtes Selbstvertrauen entwickeln zu können, benötigen sie die Sicherheit: „Es darf auch sein, dass du es nicht schaffst. Du kommst damit klar.“ Ein Kind wird umso sicherer, je mehr es glaubt:
- Ich darf verlieren
- Fehler gehören dazu
- Jeder erlebt Rückschläge und Niederlagen
- Ich darf es versuchen – und mir überlegen, wie ich weiter vorgehe, wenn es nicht klappt
Für sein Selbstwertgefühl benötigt es Eltern, Lehrpersonen und Freunde, die es spüren lassen:
- Wir lieben/mögen dich unabhängig von deiner Leistung
- Wir stehen zu dir, wenn du Misserfolge erlebst
- Wir fangen dich auf, wenn du fällst
Hinweis: Mehr darüber, wie Sie Ihr Kind im Alltag stärken können, erfahren Sie in unserem Seminar
„Resilienisch“ – ein Sprachkurs für innere Stärke (Resilienz in der Familie)
Sowie in unserem Buch „Geborgen, mutig, frei – wie Kinder zu innerer Stärke finden“
Zum Inhalt: Wir alle wünschen uns Kinder, die dem Leben mit Mut begegnen. Die mit Misserfolgen, Schwierigkeiten und Rückschlägen umzugehen wissen – resilient sind. Kinder, die ihre Stärken kennen und nutzen und ihre Schwächen akzeptieren.
Im Alltag bieten sich unzählige Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen von Kindern zu fördern.
Dieses Buch gibt eine Vielzahl von Impulsen, die Kindern zu innerer Stärke und Widerstandsfähigkeit verhelfen.
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